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Rund 30 Gäste haben Mitte Juli am Studientag Australien teilgenommen, der gemeinsam von Mission EineWelt, der Pazifik-Informationsstelle und dem Verein Kultur Neuguinea vorbereitet worden war. Zum Thema „Stimmen zur Vergangenheit und Gegenwart lutherischer Aborgines-Gemeinden“ tauschten sich die Referierenden aus dem In- und Ausland aus und kamen in „World Cafés“ auch mit den Teilnehmenden ins Gespräch.

In das Thema führte Dr. Philipp Hauenstein ein, der Vorsitzende des Vereins Kultur Neuguinea. Er berichtete von „The Voice“. Über das so benannte Referendum wird demnächst in Australien abgestimmt. Das Referendum ist eines der aktuellen „heißen“, innenpolitischen Themen down under. Es geht dabei um ein vorgeschlagenes australisches Bundesberatungsgremium, in dem die Stimmen der Aborigines und der Torres-Strait-Insulaner*innen zu Wort kommen sollen. Das Referendum hat eine heftige Kontroverse um die Identität der Einwohner*innen von Australien entfacht, auch die Politik ist in dieser Frage gespalten. Brauchen die indigenen Einwohner*innen des roten Kontinents ein eigenes Gremium, um ihre Interessen zu vertreten- und was genau sind eigentlich die Interessen von Aborigines und Torres-Strait-Insulaner*innen, diesen First Nations People in der ehemaligen britischen Sträflingskolonie Australien?

Der australische Bühnenregisseur, Dramatiker und Autor John Strehlow stellte anschließend in Interviewform sein mehrbändiges englischsprachiges Werk „The tale of Frieda Keysser“ vor. Darin zeichnet der heute in Großbritannien lebende Strehlow die Lebensgeschichte seiner Großmutter Frieda nach, die ihrem Mann Carl Strehlow, einem in Neuendettelsau ausgebildeten Missionar, 1875 nach Hermannsburg im Northern Territory von Australien folgte und sich in der dortigen Aborigines-Gemeinde vor allem in der Säuglings- und Kinderkrankenpflege engagierte. Frieda Keysser gehöre zu den „besonderen, aber vergessenen“ Frauen, so Strehlow. Ihr sei es zu verdanken, dass die Säuglingssterblichkeit rund um Hermannsburg deutlich zurückging und die dort lebenden Familiengruppen buchstäblich vor dem Aussterben gerettet wurden. In über 26-jähriger Recherche in Archiven in Australien, Deutschland und Großbritannien sowie bei mehreren „Feldaufenthalten“ hat John Strehlow minutiös und detailverliebt die Biographie seiner Großeltern in den damaligen zeitgeschichtlichen Kontext gestellt und deren Lebensgeschichte mit der Geschichte lutherischer Aborigines-Gemeinden in Zentralaustralien verknüpft.

Wie sehr diese „Stimme aus der Vergangenheit“ noch heute nachwirkt, zeigte das eingespielte Video von Marion, einer Kirchenvorsteherin aus der lutherischen Gemeinde in Hermannsburg, der Aborigines-Gemeinde ca. 120 Kilometer westlich von Alice Springs in den MacDonnell Ranges am Finke River. Marion erzählte berührend in ihrer Lokalsprache von dem Guten, dass lutherische Missionare in ihrer Gemeinde getan hätten. Als Nachfahren der ersten einheimischen Christ*innen glaubten heute viele Aborigines an die heilende und versöhnende Wirkung des gemeinsamen Gebetes. Mit Jesus im Herzen und dem weltumspannenden Gebet könne Frieden und Versöhnung gelingen, so Marion.

Über die „Australien-Sammlung“ bei Mission EineWelt informierte Heide Lienert-Emmerlich, Leiterin der Projektstelle Archiv. Sie hatte eine Ausstellungsvitrine mit australischen Objekten gestaltet und konnte so Einblicke in das traditionelle Leben der nomadisch lebenden Aborigines-Völker geben. Besonders beeindruckt zeigten sich die Teilnehmenden des Studientages von „Speerschleudern“, mit deren Hilfe Jagdspeere über große Distanzen geworfen werden konnten.

Pfarrer i.R. Michael Jacobsen, der erst vor kurzem nach einer sechsjährigen Arbeitsperiode in der Finke River Mission nach Deutschland zurückgekehrt war, erzählte leidenschaftlich von den interkulturellen Herausforderungen im Miteinander-Leben mit den Aborigines. Die Unterrichtung und Ausbildung einheimischer Evangelisten habe immer im Schatten hoher Bäume stattfinden müssen und habe ihn gezwungen, die Art seiner Lehre umzustellen- weg vom frontalen Unterrichten, hin zu mehr „Geschichten erzählen“ und Dialog. Trotz seiner vielfältigen Bemühungen, die sogar das Erlernen der indigenen Sprache Alyawarr vorsahen, habe er den Eindruck, die Lebenswirklichkeit der Aborigines nicht vollends verstanden zu haben, sagte Jacobsen beim „World Café“ (siehe Foto).

Der Studientag endete mit einer jahrtausendealten Tradition der Aborigines, einem „Sing-along“. Julia Ratzmann von der Pazifik-Infostelle stellte das Lied „I am, you are, we are Australian“ aus dem Jahr 1987 vor, eine Art inoffizieller Nationalhymne der Australier*innen. Im Liedtext wird die Suche nach der eigenen Identität thematisiert: Wer sind die Australier*innen eigentlich und mit welcher Stimme sprechen sie?

 

Am Sonntag, 30. Juli, wurden Pfr. Michael mit Frau Hanne Jacobsen in einem festlichen Gottesdienst in Oberhochstatt im Dekanat Weißenburg zu einem besonderen Dienst nach Australien ausgesendet. Unsere älteste Partnerkirche, die lutherische Kirche von Australien, hatte das Centrum Mission EineWelt unserer Landeskirche darum gebeten, einen Theologen in ihre Kirche zu entsenden, da ihre Kirche einen kritischen Pfarrermangel hat, und weil zwischen beiden Kirchen eine jahrzehntelange besondere Beziehung besteht.

 

Pfr. Jacobsen wird ab Herbst für mehrere Jahre in einer Region der so genannten „Finke River Mission“ in Zentralaustralien mit lutherischen Aborigines arbeiten – im Raum Hermannsburg und Alice Springs. In dem Gesamtgebiet mit einer Raumausdehnung von Mitteleuropa leben etwa 20.000 Ureinwohner, von denen etwa die Hälfte der lutherischen Kirche angehört. Jacobsen wird sich in eine der fünf großen Sprachgruppen Zentralaustraliens einarbeiten, geistliche Schriften und weiteres Bildungsmaterial erstellen und Aborigines Pastoren und verwandte Berufsgruppen aus- und fortbilden. Diese Entsendung ist im Zusammenhang einer langen Beziehungsgeschichte zu sehen: Zwischen 1860 und 1922 wurden fast 60 Missionare/innen der damaligen „Gesellschaft“ aus Neuendettelsau zur Betreuung weißer Migranten aus Deutschland sowie zur Sozial- und Missionstätigkeit unter Aborigines entsendet. Dabei war Lebensschutz dieser ältesten nomadisch in einer Großregion lebenden Urbevölkerungsgruppe unserer Erde ein zentrales Anliegen. Die lutherische Kirche in Australien war die erste Konfession Australiens, die im Jahr 2000 angesichts all des diesem Volk zugefügten Unrechts ein Versöhnungs-Ritual zwischen Siedlern und Aborigines veranstaltete.

 

Die mit der Verabschiedung aus der Gemeinde verbundene Aussendung in dem sehr gut besuchten Gottesdienst wurde durch Direktor Hanns Hoerschelmann und Pazifik-Ostasien-Referent Dr. Traugott Farnbacher vorgenommen. Dabei wurde betont, dass es sich bei dieser „historischen“ Aussendung nicht um einen „Anschluss“ an eine damalige Missionsgeschichte handelt. Vielmehr handelt es sich um ein besonderes Mandat in gemeinsamer Mitverantwortung am Evangelium und an Diensten im Geist Jesu Christi – im Zeichen einer Partnerschaft mit einer Kirche, mit deren missionarisch-ökumenischer Arbeit Centrum Mission EineWelt in fünf verschiedenen Kooperationsbeziehungen in der Region Pazifik/Ostasien steht.

 

Pfr. Dr. Dr. h. c. Traugott Farnbacher

Referent für Papua-Neuguinea, Pazifik und Ostasien