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Corona in Brasilien: „Die Situation ist ziemlich kompliziert“ – Interview mit Luiz Alves

Wie ist die aktuelle Situation in Brasilien in Bezug auf Corona?

Die Situation in Brasilien ist ziemlich kompliziert. Es gibt ein exponentielles Wachstum der Erkrankungen durch das Coronavirus in mehreren brasilianischen Bundesstaaten. In diesem Moment hat das Virus die ärmste Bevölkerung erreicht, und dadurch wird die Verbreitung erhöht, da es in den Peripherien der Großstädte schwieriger ist, die soziale Isolation aufrecht zu erhalten.

Der brasilianische Präsident ist sehr besorgt um die Wirtschaft des Landes und gibt öffentliche Erklärungen ab, die denen des Gesundheitsministeriums und der Gesundheitsorganisationen widersprechen. Seinen eigenen Gesundheitsminister kritisiert er und er selbst missachtet Vorgaben zum Abstandhalten. Er nimmt den Kontakt zu seinen fanatischen Anhänger/innen durch Händeschütteln auf und demonstriert damit sein egozentrisches Verhalten vor der Tür des Palácio do Planalto, dem Regierungspalast in Brasilia. In einer offiziellen Erklärung sagte er, dass das Coronavirus mit einer kleinen Grippe oder Erkältung vergleichbar sei. Seine Haltung bekräftigte er immer wieder, und motiviert einen Teil der Bevölkerung, dass sie die Geschäfte öffnen und auf die Straße gehen sollten, um die wirtschaftlich schwierige Situation zu minimieren.

 

Wie geht es mit dem Projekt weiter?

Unser Projekt hat seine Aktivitäten unterbrochen. Davon sind Hunderte von Familien direkt betroffen, da sie von Wohltätigkeitsaktionen abhängig sind, um nicht an Hunger zu sterben. Mit Sicherheit leiden viele Menschen in der Armensiedlung São José, São Paulo, Hunger. Die Dynamik in der Vila São José hat sich drastisch verändert. Es halten sich, laut Mobilfunkdaten, nur noch 50 Prozent der Einwohner/innen an das Gebot der sozialen Isolation. Vom Projekt her sind uns im Moment die Hände gebunden. Wir können nicht viel tun.

Das Programm des Versöhnungsprojekts hat Kisten und Kits mit Grundnahrungsmitteln, Hygiene- und Reinigungsprodukten gespendet, aber es reicht nur für 10 Prozent der teilnehmenden Familien, was im Hinblick auf die Bedürfnisse der Gemeinde sehr wenig ist.

Das Leben in den Häusern ist von Angst gekennzeichnet, da unsere Häuser klein und ohne Freizeitbereiche sind. Unsere Kinder haben die Gewohnheit, auf der Straße zu spielen und Freunde zu treffen. Es ist eine Herausforderung, sie gesund zu halten und vor psychischer Gewalt zu schützen. Wir haben festgestellt, dass in vielen Haushalten, vor allem bei Verwandten, Nachbarn und engen Freunden, in denen Gewalt eine Realität ist, häufig Schreie, Weinen und Gewalttätigkeiten zu hören sind. Mitten in all dem vernünftig zu bleiben, ist eine große Herausforderung. Glücklicherweise kann ich durch die Traumapsychologie meine eigenen Ressourcen aktivieren und dadurch psychisch stabil bleiben.

 

Wie viele dokumentierte Infektionen gibt es?

São Paulo verzeichnet 1.134 durch die Krankheit verursachte Todesfälle und 15.914 bestätigte Fälle. In Rio de Janeiro gibt es 5.552 Fälle und 490 Todesopfer.

In Minas Gerais gibt es offiziell 47 Todesfälle und 1.283 bestätigte Fälle. Ceará zählt 3.910 Infizierte und 233 Todesfälle. Rio Grande do Sul, Rio Grande do Norte, Distrito Federal und Mato Grosso do Sul bestätigten ebenfalls steigende Infektionszahlen und mehr Todesfälle.

Acre bestätigte den achten Todesfall in diesem Bundesstaat.

In den frühen Morgenstunden des Mittwochmorgens bestätigte Pará 103 neue Fälle und kommt somit auf 1.195 Infizierte.

Die jüngste Bilanz des Gesundheitsministeriums, die am Mittwoch, 22. April, veröffentlicht wurde, weist 45.757 bestätigte Fälle und 2.906 Todesfälle aus.

Aktuell gibt es mehr als 13.000 Tests, die darauf warten, ausgewertet zu werden, und viele davon sind schlecht gelagert. Es ist unmöglich, das tatsächliche Ausmaß der Pandemie zu kennen.

 

Was wird getan, um die Bevölkerung aufzuklären?

Der pädagogische Teil der Aufklärung wird durch Kampagnen in den wichtigsten Kommunikationskanälen inklusive der Sozialen Netzwerke auf sehr gute Art und Weise geleistet. Ich glaube, dass ein guter Teil der Bevölkerung Zugang zu Informationen über den Umgang mit dem Virus hat. Das Problem ist, dass ein Teil der Bevölkerung nicht über die Schutzmaterialien verfügt und dass in den Stadt-Randgebieten die Wasserversorgung schlecht ist. In São Paulo herrscht großer Wassermangel. Von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens wird das Wasser abgeschaltet und der Wasserdruck ist sehr niedrig, so dass in den Armensiedlungen teilweise kein Wasser ankommt.

 

Werden bereits Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus ergriffen?

Viele Maßnahmen sind bereits ergriffen worden, zum Beispiel:

– Erlass der sozialen Isolation mit Schließung aller nicht systemrelevanten Geschäfte und Einrichtungen

– Erlass zur Verwendung einer Gesichts-Maske / Mund- und Nasenschutz an öffentlichen Orten

– Schließung und Isolierung von Parks, Stränden und Plätzen

– Schaffung einer Soforthilfe in Höhe von 600 Brasilianischen Real für jede Familie, die arbeitslos, selbständig und Empfängerin des Familienzuschusses ist.

Letztere Aktion hat zahlreiche Probleme verursacht, da die Menschen vor den Behörden Schlange stehen, um eine Bestätigung über ihre Bedürftigkeit zu bekommen.

Raimundo Nonato de Souza zum Beispiel wartete 17 Stunden lang im Bundesfinanzamt in Madureira, im nördlichen Teil von Rio. Er ist seit 10 Jahren arbeitslos und lebt von der Hand in den Mund. Es gibt viele Brasilianer/innen denen es ähnlich ergeht.

Viele Personen in Rio de Janeiro wurden umgesiedelt. Gleichzeitig hat sich ein Solidaritätsnetz gebildet, um den Ärmsten zu helfen, damit sie sich das nötigste an Nahrungsmitteln erwerben können.

 

Was tut die Politik?

Der Gesundheitsminister Mandetta wurde am letzten Wochenende entlassen, und Bolsonaro trifft sich weiter öffentlich mit seinen Anhänger/innen.

 

Der Sozialpädagoge Luiz Alves ist Leiter des Projekts Reconciliação (Versöhnung) der Lutherischen Kirche in Brasilien. Das Projekt hat seinen Standort im Stadtteil São José in São Paulo. Die Zahlen sind vom 22. April 2020.

Übersetzung: Hans Zeller

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