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Corona in El Salvador: „Die Quarantäne bestimmt unser Leben“ – Interview mit Hans-Jürgen Johnke

Wie ist die aktuelle Situation in El Salvador bezüglich Corona?

Im Vergleich zu Deutschland, Italien, Spanien, den USA und anderen Ländern bewegen sich die Zahlen der infizierten Menschen und der Verstorbenen noch auf einem sehr niedrigen Niveau. Die Schutzmaßnahmen der Regierung und des Parlaments sind sehr intensiv. Man versucht, eine große Ausbreitung zu verhindern, da das Gesundheitssystem diese nicht bewältigen könnte. Präsident Nayib Bukele hat erklärt, dass bei einem Ausbruch der Pandemie in El Salvador das Gesundheitssystem zusammenbrechen würde.

El Salvador ist ein armes Land und die medizinischen Möglichkeiten können nicht mit denen in Deutschland verglichen werden. Vor diesem Hintergrund muss man die Situation im Land und die Reaktionen der Regierung und des Parlaments beurteilen.

 

Wie viele dokumentierte Infektionen gibt es?

Es gibt (Stand: 20. Mai 2020) offiziell 1571 Infizierte, davon gelten 537 als genesen.

31 Menschen sind bisher an den Folgen des Coronavirus gestorben. Allerdings gibt es nur wenig Testmöglichkeiten. Darum gehe ich davon aus, dass die Zahl der infizierten Personen höher liegt.

Schwerpunkt der Infektion ist die Provinz San Salvador (1.8 Millionen Einwohner/innen) mit 764 infizierten Menschen. Es gibt aber auch Bezirke mit bedeutend weniger Infizierten.

 

Was geschieht zur Aufklärung der Bevölkerung?

Die Medien haben im Hinblick auf die Aufklärung eine wichtige Rolle – und sie nehmen sie sehr verantwortungsbewusst wahr. Die Regierung berichtet fast täglich über den Stand der Dinge. Der Präsident wendet sich regelmäßig in Fernsehansprachen an die Bevölkerung.

 

Gibt es schon Maßnahmen, die ergriffen werden?

Ich kann an dieser Stelle nur ein paar Beispiele nennen.

Bereits ein paar Tage vor Bayern wurden die öffentlichen und privaten Schulen in El Salvador geschlossen. Die Schülerinnen und Schüler erhalten, wenn möglich, virtuellen Schulunterricht. Wenn das nicht möglich ist, bekommen sie schriftliche Arbeitsunterlagen.

Der Flughafen wurde sehr frühzeitig geschlossen.

Die Schutzmaßnahmen haben sich lange Zeit nicht von denen in Bayern unterschieden. In den vergangenen Wochen konnte nur jeweils ein Mitglied einer Familie einkaufen. Generell war beispielsweise nur eine Person pro Auto erlaubt.

Diese Maßnahmen wurden besonders im Ballungsraum San Salvador sehr streng und konsequent von Polizei und Militär überwacht. In El Salvador übernimmt das Militär schon seit längerem polizeiliche Aufgaben.

Seit 7. Mai gibt es eine zweiwöchige verstärkte Quarantäne. Jede Person hat die Möglichkeit, zwei Mal in der Woche einzukaufen und dazu das Haus oder die Wohnung zu verlassen. Auch darf zum Beispiel das Auto nur an diesem Tag zu diesem Zweck verwendet werden. Die Schlussnummer der Personalausweisnummer legt die erlaubten Tage fest.

Zudem werden in dieser Zeit der öffentliche Nahverkehr und der Taxibetrieb eingestellt. Aus meiner Sicht eine schwierige Anordnung. In unserer Kirchengemeinde hat zum Beispiel niemand ein Auto. Wie transportiert man die Einkäufe? Dies betrifft sehr viele Menschen in El Salvador.

Der Präsident äußert sein Unverständnis und seinen Zorn im Hinblick auf Menschen, die gegen die Schutzmaßnahmen verstoßen mit großen Emotionen.

 

Wie bereitet sich das Gesundheitswesen vor?

Das Gesundheitssystem in El Salvador ist auf diese Krise nicht vorbereitet. Die Regierungen der Vergangenheit haben das öffentliche Gesundheitssystem nur schwach ausgebaut. Das hat in einem Fernsehinterview ein früherer Minister selbstkritisch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.

Es gibt in El Salvador 30 staatliche Krankenhäuser, 159 Gesundheitszentren, in denen Untersuchungen und Behandlungen kostenlos vorgenommen werden. Dazu kommen noch weitere größere oder kleinere medizinische Einrichtungen. Allerdings ist die Kapazität beschränkt – besonders in ländlichen Regionen. Daneben gibt es private Krankenhäuser.

Die Ärzt/innen sind gut ausgebildet. Der Vergleich zu Deutschland macht allerdings auch einen Unterschied deutlich. In Deutschland gibt es pro 1000 Einwohner/innen statistisch gesehen 4,33 Ärzt/innen. In El Salvador sind es 1,57.

Die Regierung baut zur Zeit unter großem Druck Behelfskrankenhäuser an verschiedenen Orten des Landes. Manche sind bereits fertig, andere sind noch im Bau.

Es ist zu hoffen, dass diese Maßnahmen nachhaltig helfen, das Gesundheitssystem zu stärken.

Wie in Deutschland auch, ist der Ausbau eines guten Gesundheitssystems eine Sache des Geldes. Deutschland ist ein reiches Land, und es gibt das Bewusstsein, dass das Allgemeinwohl im Hinblick auf die gesundheitliche Versorgung der Gesamtbevölkerung wichtig ist.

 

Wie sind die Kliniken ausgestattet?

Ich habe ohne Erfolg versucht, herauszubekommen, wie viele Beatmungsgeräte es in El Salvador gibt. Aber mit Sicherheit sind es nicht viele. In den Medien kann man lesen, dass die Schutzbekleidung für das Krankenhauspersonal und für Ärzte oft mangelhaft ist. Mehr Informationen liegen mir jedoch nicht vor.

 

Wie wirkt sich Corona auf die Wirtschaft aus?

Man muss unterscheiden zwischen den Menschen, die ein festes Arbeitsverhältnis haben, und denen, die einer informellen Arbeit nachgehen, oder die selbständig sind. Arbeitnehmer/innen mit Arbeitsvertrag haben weiterhin regelmäßige Einnahmen.

Anders sieht es bei denen aus, die einer Arbeit ohne Arbeitsvertrag nachgehen. Das sind zum Beispiel die Straßenverkäufer/innen, die auf der Straße (oft vor den Ampeln) Bananen, Wasser, Nüsse und ähnliches verkaufen. Das sind die Geschäfte auf den Märkten. Das sind viele Arbeitende, die ohne Vertrag arbeiten.

Ein wichtiger finanzieller Faktor für die Menschen in El Salvador sind die „Remessas“. Das sind Geldüberweisungen von Salvadoreños, die im Ausland arbeiten. 2019 wurden etwa 5,6 Milliarden US-Dollar überwiesen.

Da viele dieser Menschen in den USA arbeiten, sind sie von der dortigen wirtschaftlichen Situation abhängig. Die Remessas sind um 10 Prozent zurückgegangen.

Wie in Deutschland auch, müssen in nächster Zeit die Wirtschaftsbetriebe und Fabriken ihre Arbeit wieder aufnehmen können, damit ein totaler wirtschaftlicher Zusammenbruch verhindert werden kann.

 

Wie sieht die innerpolitische Situation in El Salvador aus?

Es gibt von Seiten der Opposition starke Kritik an der Form des politischen Handelns von Präsident Bukele. Sie richtet sich gegen Entscheidungen, die autoritär und unter Vernachlässigung des Rechts getroffen wurden. Mehrere Entscheidungen werden zur Zeit juristisch überprüft.

Bukele wurde im vergangenen Jahr vom Volk direkt mit 53,8 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Die Umfragewerte, die bisher in diesem Jahr veröffentlicht wurden, bescheinigen ihm eine große Beliebtheit bei der Bevölkerung. Es ist abzuwarten, wie die neuesten Entscheidungen, die teilweise auch vom Parlament beschlossen wurden, sich auswirken.

Im kommenden Jahr findet die nächste Parlamentswahl statt. Diese Wahl wird wohl auch ein Zeichen dafür sein, wie das Krisenmanagement des Präsidenten, der Regierung und der Parteien von den Wählerinnen und Wählern beurteilt wird.

 

Hat sich der Alltag verändert?

Die Quarantäne bestimmt unser Leben. Wir leben in einem Haus in San Salvador, das ist eine große Hilfe. Die Menschen in unserer Gemeinde, einer Landgemeinde, leben in sehr einfachen und bescheidenen Häusern mit Grundstücken. Da sieht die Quarantäne anders aus als bei Menschen, die in kleinen Appartements leben (zum Beispiel im Ballungsgebiet San Salvador). Das ist hier nicht anders als in Deutschland.

Da ich altersbedingt zu einer der Risikogruppen gehöre, verlasse ich das Haus so gut wie nicht. Die Kinder haben täglich virtuellen Schulunterricht. Auf diese Weise hat der Alltag seine Struktur bekommen.

Im Supermarkt können wir keine Verteuerung oder gezielte Verknappung feststellen. Die meisten Menschen erleben die Lebenssituation ähnlich. Allerdings werden die Einschränkungen nicht von allen akzeptiert. Im Großraum von San Salvador gibt es deswegen eine hohe Polizei- und Militärpräsenz.

 

Wie ist die Situation in Ihrem Arbeitsfeld?

Ich bin schwerpunktmäßig für die Ausbildung von „Evangelistas y Catequistas“ zuständig. Normalerweise werden für diese Personengruppe monatliche Fortbildungen angeboten, die dezentral in den verschiedenen Regionen durchgeführt werden. Diese und andere kirchliche Veranstaltungen gibt es zur Zeit nicht.

Meine Frau und ich sind zudem für eine Kirchengemeinde im Osten des Landes zuständig. Die sonntäglichen Gottesdienste können ebenfalls nicht gefeiert werden. Wir schicken den Gemeindegliedern am Sonntag und am Mittwoch eine Predigt per WhatsApp – diese Technik haben die Leute. Die Rückmeldungen sind sehr positiv.

Zudem halten wir einen intensiven telefonischen Kontakt zu den Gemeindegliedern und zum Leitungsteam der Kirchengemeinde.

Die geistliche Arbeit in einem Haus für Obdachlose können wir zur Zeit nicht machen.

 

Wird es ihrer Einschätzung nach in El Salvador gelingen, das Virus unter Kontrolle zu halten?

Wenn ich das wüsste!

Ich hoffe natürlich, dass das Coronavirus sich nicht mit voller Wucht entwickelt und dass die Schutzmaßnahmen Erfolg haben. Und ich hoffe, dass sich die wirtschaftlichen und besonders auch die politischen Schäden in Grenzen halten.

 

Hans-Jürgen Johnke wurde von Mission EineWelt nach El Salvador ausgesendet. Dort ist der Theologe für die Ausbildung von Evangelist/innen zuständig und betreut zudem zusammen mit seiner Frau eine Kirchengemeinde und ein Obdachlosenhaus. Er lebt zusammen mit seiner Familie in San Salvador.

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