Corona in Tansania: 400.000 Menschen könnten sterben – Interview mit Antje Henke
Wie hat sich die Situation bezüglich Corona in Tansania inzwischen entwickelt?
Zwischen dem ersten getesteten Fall Mitte März und heute liegen sechs Wochen. Seitdem sind 299 Fälle vom tansanischen Gesundheitsministerium bestätigt worden. Das Virus ist in der Bevölkerung in Tansania angekommen. Die wirkliche Zahl der Infizierten dürfte weit höher liegen. Die Menschen halten sich vorbildlich an die Vorgaben der Regierung: Große Versammlungen sind zu meiden, Gottesdienste weiterhin erlaubt. Die Schulen bleiben auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Regierung hat die Menschen aufgerufen, auf die Felder zu gehen und noch härter zu arbeiten als zuvor, da mit Hilfen aus dem Ausland nicht schnell zu rechnen sei.
Im Krankenhaus, auf öffentlichen Märkten, in Geschäften und in Restaurants sind Handwaschstationen aufgestellt worden, vereinzelt sieht man in Moshi Menschen, die Masken tragen. Im Krankenhaus dagegen ist das Tragen von Masken zur Pflicht geworden, auch die Motorradfahrer/innen versuchen, sich mit Mundschutz zu schützen.
Im Krankenhaus halten sich die Mitarbeitenden stärker an die Hygienevorschriften, mit Händewaschen nach jedem Patient/innenkontakt. Den Sicherheitsabstand einzuhalten, fällt oftmals noch schwerer.
An dieser Stelle ist auch die Zusammenarbeit mit anderen Mission EineWelt-Projekten unbedingt zu erwähnen. Im Morogoro wurden auf Initiative von Ingrid Walz und Katrin Bauer Mundschutzmasken aus Khanga-Stoff, den traditionellen Stoffen in Tansanias, hergestellt und mit einem Bustransport zu uns ans KCMC (Kilimanjaro Christian Medical Centre) gesendet. Die Masken sehen nicht nur schön aus, sie helfen auch! Die Nachbestellung wurde einen Tag später für alle unsere PrevACamp District Krankenhäuser in Auftrag gegeben. Auch wenn große Kampagnen gerade nicht stattfinden können, versuchen wir in Kontakt zu bleiben und weiterhin auf Krebs und unser Center aufmerksam zu machen.
In Tansania ist der wirtschaftliche Abschwung hautnah spürbar. Von einem Tag auf den anderen ist der Tourismus zum Stillstand gekommen, Viele Angestellte sind entlassen worden. Die Tourismusbranche, der kleine Mittelstand in Tansania, kämpft ums Überleben. Durch die Schulschließungen haben die Lehrer/innen keine Arbeit mehr. Viele Ausländer/innen haben die letzten wenigen Flüge raus aus Tansania genommen, alles steht still. Jede/r fragt nach Arbeit, und das ist nur der Anfang.
Wie flächendeckend wird getestet?
Es wird häufiger getestet als noch im März, Die Indikation zur Testung war anfangs unzureichend, da nur Patient/innen mit Kontakt zu nachgewiesenen Covid-19-Fällen getestet wurden. Da sind viele nicht erfasst worden.
Zumindest am KCMC werden jetzt alle mit entsprechenden Symptomen getestet. Alle Testungen werden in Zusammenarbeit mit Regierungsmitarbeitenden vorgenommen. Bisher gab es in Mbeya, und Cartega, Mwanza, Kilimanjaro und Arusha weniger bestätigte Fälle. Die meisten Fälle sind in Dar es Salaam und Sansibar lokalisiert. Die Vermutung liegt nahe, dass dort auch am meisten getestet wird.
Kann sich aus der Testdichte ein konsistentes Bild über die Ausbreitung des Virus in Tansania ergeben?
Aus der Testdichte kann sich leider kein Bild abzeichnen. Zahlen von Krankenhausbesuchen mit Lungenerkrankungen und Gespräche mit anderen Mediziner/innen im Norden Tansanias legen nahe, dass die Erkrankung schon im Januar im Land war. Es gab zu dieser Zeit eine höhere Mortalitätsrate in Gesundheitszentren im Norden des Landes als in den Vergleichsmonaten in den Vorjahren.
Eine große Welle mit einem erwarteten Peak – wie in Europa – kann hier aber nicht erwartet werden. Die Menschen reisen nicht so viel wie in Europa, so dass sich das Virus nicht so leicht flächendeckend verbreiten kann.
Dar es Salaam hat bisher die meisten Fallzahlen, aber diese große Stadt ist nicht mit Moshi und dem Rest des Landes zu vergleichen. Hier hat nur ein Bruchteil der Bevölkerung Zugang zum Gesundheitssystem. Viele Patient/innen mit milden oder mittelschweren Symptomen werden nicht in die Krankenhäuser kommen: wegen der Angst vor Stigmatisierung und einfach wegen Geldmangel.
Wie haben sich Deine Arbeit und die Arbeit am KCMC generell verändert?
Unser Leben ist komplett auf den Kopf gestellt. Obwohl wir es sehr wertschätzen, nicht im völligen Lockdown zu sitzen. Wir können rausgehen, sogar ein paar Restaurants sind noch offen. Dennoch haben sich viele Familien zurückgezogen, und wir sind auch als Eltern nun sehr gefragt, das Homeschooling zu übernehmen. Auch Bennys Kindergarten hat geschlossen. Drei Jungs zu unterrichten und nebenher unsere Aufgaben im Krankenhaus zu erfüllen, ist ein organisatorischer Spagat. Wir haben unsere Tage im Homeoffice aufgeteilt, zusätzlich einen lokalen Lehrer eingestellt und eine Kinderbetreuung für unseren Jüngsten. Will heißen: Unser Haus ist voll von Menschen, und wir versuchen, das alles gut hinzubekommen.
Ferner überlegen wir unsere Krebsaufklärungs-Trainings auch online zu gestalten. Wir arbeiten zurzeit an einer Möglichkeit, wie es hier im tansanischen Setting umgesetzt werden kann. Ohne Smartphones und Internet geht in Tansania auch nichts mehr, was auch zukunftsweisend sein wird.
Wie siehst Du die Chancen, dass in Tansania das Virus unter Kontrolle gehalten werden kann?
Die Chancen stehen gut, die Krise unter Kontrolle zu halten. Die Menschen hier kennen HIV und Ebola und halten sich an die Vorschriften der Regierung. Die, die es sich finanziell leisten können, sind nach Bekanntwerden des ersten Falls sofort in die Selbstisolation. Die anderen leben weiter mit Farming und verkaufen jeden Tag so viel, dass sie abends ihr Essen haben – was sollen sie anderes machen? Aber sie tragen Masken dabei!
Das KCMC ist bis heute nicht überrannt von Corona-Fällen. Die Leute werden auch, wie gesagt, nicht kommen, wenn sie leichte Symptome haben.
Wirtschaftlich wird Tansania sehr viel Zeit brauchen, um sich zu erholen. Auch bis der Tourismus wieder läuft, wird es dauern.
Die Regierung verbreitet mit ihren Entscheidungen keine Panik. Die Devise, gemeinsam mit Gott den Virus zu besiegen, erscheint uns vielleicht erstmal fremd. Was aber tun, wenn das Land nicht mehr als 100 Intensivbetten für 55 Millionen Menschen hat? Nach unseren Einschätzungen könnten hier 400000 Menschen wegen Corona sterben.
Antje Henke arbeitet als Public Health-Spezialistin am Kilimanjaro Christian Medical Centre (KCMC) in Moshi/Tansania. Sie beschäftigt sich mit Krebsaufklärung und -vorsorge und hat dafür unter anderem die Aktion PrevACamp (Prevention and Awareness) entwickelt. Antje Henke wurde zusammen mit ihrem Mann Oliver, der als Onkologe am KCMC arbeitet, von Mission EineWelt ausgesendet.