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„Die persönlichen Gespräche waren das Spannendste“ – Interview mit Regene Lamb

Die brasilianische Theologin Regene Lamb war fast einen Monat als Teaching Preaching-Gast in ganz Bayern zu Vorträgen und Diskussionen unterwegs. Wir haben sie nach ihren Eindrücken gefragt, mit ihr über Dekolonisierung gesprochen und auch darüber, was Mission EineWelt tun kann, damit sich das Leben der Menschen in den Partnerkirchen verbessert.

Regene Lamb (r.) mit MEW-Brasilienreferent Gerlado Grützmann im Innenhof von Mission EineWelt

Regene Lamb (r.) mit MEW-Brasilienreferent Gerlado Grützmann im Innenhof von Mission EineWelt

Sie waren fast einen Monat unterwegs in Bayern. Welche Eindrücke nehmen Sie mit nach Brasilien?

Zuerst die Größe der kirchlichen Einrichtungen. Das war für mich sehr beeindruckend, zu erleben, wie viele Möglichkeiten die Kirche hier hat, wie viele Menschen in dieser Kirche arbeiten und wie sie fast flächendeckend auch im ländlichen Raum präsent ist. Und natürlich die Offenheit, mit der ich aufgenommen worden bin. Überall wo ich hinkam – und ich bin ganz schön rumgekommen – hatte ich den Eindruck, die Menschen wollten hören, was ich zu sagen hatte. Leider ließ die Dichte der Veranstaltungen nicht mehr Gespräche und Austausch zu. Diese persönlichen Gespräche waren eigentlich das Spannendste. Intensive Gespräche hatte ich mit meinen Gastgeber*innen, Gabriele und Armin Raunigk. Davon nehme ich auch sehr viel mit.

 

Eines Ihrer Themen, über die Sie hier gesprochen haben, ist Dekolonisierung. Wo auf dem Weg dorthin sehen sie die Menschen in Bayern, die sie kennengelernt haben? – Sie haben ja auch von einer Kolonialität des Wissens gesprochen.

Es gibt Ansätze. Gerade in den Partnerschaftsgruppen wird darüber gesprochen, aber ich denke, es ist noch sehr am Anfang. Es gibt schon Bereitschaft, über Kolonialismus und Dekolonisierung nachzudenken, aber in den Gemeinden insgesamt ist es noch sehr wenig Thema. Auch Themen wie die Abholzung des Regenwaldes sind präsent. Aber Konsequenzen, die ein Einsatz für den Stopp der Abholzung für das Leben der Menschen in Europa hätte – beispielsweise weniger Fleischkonsum – sind noch nicht wirklich in deren Bewusstsein. Ich denke, es gibt noch viel zu tun, damit wir das besser verstehen können.

 

Wenn ich Ihren Vortrag bei der PEM-Tagung richtig verstanden habe, geht es Ihnen ja auch darum, dass wir unsere Form des Wirtschaftens, also den Kapitalismus, grundsätzlich hinterfragen müssen.

Ja. Ich glaube zwar nicht, dass es auf die Frage nach einem besseren System irgendwo auf der Welt schon eine Antwort gibt. Aber klar ist, dass das Prinzip, wonach der Profit über allem steht, uns nicht weiterbringt. Es geht um eine wirtschaftliche Entwicklung, die nachhaltig ist und wirklich allen Menschen dient, und nicht nur zu Gunsten einer kleinen Gruppe läuft, die ohnehin schon im Überfluss lebt. Auch das Konkurrenzdenken, das ja auch zu den Grundlagen des Kapitalismus gehört und dazu führt, dass teilweise aberwitziger Überfluss entsteht, sollten wir daraufhin hinterfragen, ob es wirklich nur so geht.

 

Wie schätzen Sie die Chance ein, dass wir von dem Denken, wonach der Mensch den materiellen Unterschied als Anreiz braucht, um etwas zu leisten, wegkommen?

Ich denke, wichtig ist einerseits die historische Analyse, wie die augenblicklichen Verhältnisse sich gebildet haben. Andererseits ist es auch eine Glaubenseinstellung, zu vertreten, dass alle Menschen Gottes Geschöpfe sind und als solche notwendig eine Würde und ein Recht auf ein Leben in Würde haben. Dazu gehört auch die Einsicht, dass unsere Leben, unbenommen unserer Einstellungen, miteinander zusammenhängen. Besonders hinsichtlich von Grundbedürfnissen wie Gemeinschaft, Ernährung, Bildung ist es wichtig, dass nicht eine Trennung herrscht zwischen einigen, die alles im Übermaß haben, und sehr vielen anderen, die überhaupt keine Chance haben und so zerstört wurden in ihrem Sein, dass sie sich gar nicht vorstellen können, andere Lebensbedingungen zu haben. Es ist wichtig, dass diese Menschen wieder ihre eigene Stimme erheben.

 

Welche Forderungen sollten wir als Mission EineWelt aus Ihrer Sicht an unsere Politiker*innen richten, damit sich die Situation der benachteiligten Menschen in Brasilien verbessert? Für was sollen wir uns hier in Deutschland einsetzen?

Ein Beispiel wäre, dass so genannte Pflanzenschutzmittel, die in Deutschland und Europa verboten sind, nach Brasilien verkauft werden. Damit behandelte Produkte kommen ja auch wieder nach Deutschland zurück. Und generell wäre es gut, wenn in Deutschland mehr hinterfragt werden würde, wie die Profite hier zum Nachtteil der Menschen in Brasilien und anderen Ländern des globalen Südens zustande kommen. Initiativen wie die Weltläden und der Faire Handel sollten noch mehr unterstützt werden.