„Es gibt keinen Grund zum Feiern“ – MEW-Brasilienreferent Geraldo Grützmann zu den Wahlen in Brasilien
„Die Ergebnisse sind sehr erschreckend“, bilanziert der brasilianische Theologe Geraldo Grützmann, der derzeit als Brasilienreferent bei Mission EineWelt arbeitet, die Wahlen in seiner Heimat. Der Wahlausgang in Brasilien mit dem überraschend guten Abschneiden des amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro und seiner Kandidat*innen bei den Parlaments- und Senatswahlen ist für den Theologen aber auch Teil eines globalen Trends: „Weltweit ist zu beobachten, dass rechte und rechtsradikale Positionen sich verfestigen.“
Immerhin: Der Herausforderer und ehemalige Präsident Lula da Silva hat den ersten Wahlgang der brasilianischen Präsidentschaftswahl gegen den ultra-rechten Amtsinhaber Jair Bolsonaro gewonnen. Doch sein Ergebnis von 48,4 Prozent der Stimmen reichte Lula nicht, um das Rennen im ersten Wahlgang zu entscheiden. Dafür wären über 50 Prozent notwendig gewesen. Zudem hat Bolsonaro mit 43,2 Prozent wesentlich besser abgeschnitten, als die Meinungsforschungsinstitute im Vorfeld der Wahl prognostiziert hatten. Die jetzt folgende Stichwahl zwischen Lula und Bolsonaro sei „eine sehr gefährliche Sache“, meint Geraldo Grützmann. „Einerseits schöpfen Bolsonaros Anhänger*innen aus dem überraschend guten Ergebnis neue Motivation, während andererseits die Euphorie im Lula-Lager einen Dämpfer bekommen hat, weil ihr Kandidat nicht gleich im ersten Wahlgang das Rennen entscheiden hat.“ Dazu kommt aus seiner Sicht das gute Abschneiden der Liberalen Partei des Amtsinhabers, die bei den gleichzeitig stattfindenden Parlaments- und Gouverneurswahlen viele Kandidat*innen durchsetzen konnte. „Das Ergebnis der linken Parteien reicht nicht für stabile Verhältnisse“, erklärt Grützmann. Seine Befürchtung: „Auch wenn Lula im zweiten Wahlgang Präsident wird, ist er eingegipst.“ Sollte Bolsonaro im Senat die Mehrheit erreichen, habe er „das ganze Land im Griff“, befürchtet der Theologe. Unter anderem bestehe die Gefahr einer weiteren ungehemmten Abholzung der brasilianischen Regenwälder und der Unterdrückung sozialer Organisationen.
Die Rolle der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (Igreja Evangélica de Confissão Luterana no Brasil, IECLB) schätzt Geraldo Grützmann kritisch ein. Mit etwa 700000 Mitgliedern vertrete die IECLB zwar eine „kleine Minderheit“, aber: „Es ist traurig, dass Bolsonaro in den Hochburgen der IECLB auf über 70 Prozent Zustimmung kommt.“ Es gebe kirchenintern eine große Diskrepanz zwischen der Basis, die mehrheitlich pro Bolsonaro sei, und der Kirchenleitung, die Lula favorisiere. „Für die Kirche bringt das eine große Schwierigkeit, sich politisch zu positionieren.“
Noch problematischer ist aus Grützmanns Sicht die Rolle der Pfingstkirchen, die Bolsonaro massiv unterstützen. „Der Missbrauch von kirchlichen Themen ist ein Skandal. Viele, die sich Christ*innen nennen, machen mit.“