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Steigbügelhalter der Nazis – Vortrag des Historikers Hans Rößler

Am 15. April 2024 referierte der Historiker Hans Rößler über die Geschichte des paramilitärischen Wehrverbands "Bund Reichsflagge", in der auch die damalige Missionsanstalt eine Rolle spielte. (Foto: Thomas Nagel)

Am 15. April 2024 referierte der Historiker Hans Rößler über die Geschichte des paramilitärischen Wehrverbands „Bund Reichsflagge“, in der auch die damalige Missionsanstalt eine Rolle spielte. (Foto: Thomas Nagel)

Der ehemalige Gymnasiallehrer Hans Rößler hat sich mit der historischen Aufarbeitung der Nazizeit in Neuendettelsau als Historiker einen Namen gemacht. In seinem Aufsatz „Waffen in der Missionsanstalt“ zeigt er nun, wie stringent sich Neuendettelsau während der Zeit der Weimarer Republik zu einer Hochburg der Nazis entwickelte. Als Quelle dienten ihm unter anderem die „Erinnerungen“ von Georg Sichert, der Anfang der 1920er Jahre eine Bezirksgruppe des rechtsnationalen bis rechtsextremen Wehrverbands „Reichsflagge“ aufbaute. Am 15. April referierte Rößler bei Mission EineWelt aus seinem Aufsatz.

Sichert beschreibt in seinen Erinnerungen den Aufbau und die weitere Entwicklung der Ortsgruppe Neuendettelsau des fränkischen Wehrverbands „Reichsflagge“, der 1920 in Nürnberg als „Bund Reichsflagge“ vom Reichswehroffizier Adolf Heiß gegründet wurde. Heiß musste wegen des Verbots der nach dem Ende des ersten Weltkriegs entstandenen paramilitärischen Wehrverbände seiner Truppe „Heimatschutzbataillon Heiß“ eine legale Tarnung verschaffen. Unter dem Deckmantel eines für damaliges Erachten harmlosen deutschnationalen und antisemitischen Vereins, habe Heiß „unter konspirativen Bedingungen“ einen „straff organisierten Wehrverband“ aufgebaut, referiert Hans Rößler. Dabei, so der Historiker, habe Heiß auf das Wohlwollen von Heinrich Gareis, in Nürnberg Oberregierungsrat im Polizeidienst und später Polizeidirektor, sowie von Ernst Röhm, damals ebenfalls Offizier der Reichswehr, bauen können. Zudem, so Rößler weiter, habe sich die damalige bayerische Regierung als „Ordnungszelle des Reiches“ bezeichnet. Soll heißen, sie war stramm deutschnational und antidemokratisch und nicht daran interessiert, solche Umtriebe nachhaltig zu ahnden.

Kurz nach der Gründung des „Bundes Reichflagge“ kam der Fischbacher Landwirt Georg Sichert ins Spiel. Er wurde von Heiß beauftragt, im Alt-Landkreis Ansbach eine Bezirksgruppe in Kompaniestärke aufzubauen. Zusammen mit dem damaligem Hilfslehrer Georg Dechant gelang es Sichert ziemlich schnell, die Kompaniestärke von 200 Mann zu erreichen. Einer der drei Züge der Bezirksgruppe hatte seinen Sitz in Neuendettelsau. Dort befanden sich auch zwei Waffendepots und ein größeres Waffenlager.

An verschiedenen Stellen von Sicherts Aufzeichnungen wird deutlich, wie die damalige Missionsanstalt und das Missionsseminar an Aufbau und Betrieb der braunen Kampftruppe beteiligt waren. Zu den ersten Mitgliedern, die in Neuendettelsau gewonnen wurden, zählten junge Missionsseminaristen. Die ersten Versammlungen fanden laut Sichert in einem Schulzimmer des Missionsseminars statt. Ebenfalls frühzeitig dabei im paramilitärischen Vereins war auch der Missionar Adam Schuster. Neben einem zentralen Waffenlager in der Bahnhofstraße befanden sich die weiteren Depots in Schusters Haus und in der Missionsanstalt. Weiter dokumentierte Sichert, dass sich Missionsseminaristen als Blechbläser am ersten „Vaterländischen Abend“ der Ortsgruppe Neuendettelsau beteiligt hatten. Hans Rößler ist sich sicher, „dass die genannten Aktivitäten mit Wissen, ja mit wohlwollender Billigung der Leitung des Missionsseminars stattfanden.“ Seine Begründung: Das „streng autoritäre Regime“, das im Missionsseminar herrschte, habe „nicht nur das Studium, sondern auch das private Leben der Seminaristen unter eine rigide Kontrolle“ gestellt.

Der „Bund Reichsflagge“ beteiligte sich 1923 an der von Hitler initiierten rechtsradikalen „Arbeitsgemeinschaft Vaterländischer Kampfverbände“, wurde aber während des Hitlerputsches im November des gleichen Jahres nicht aktiv. Die bürgerlichen Unterstützer, denen die „Arbeitsgemeinschaft“ dann doch zu radikal oder auch nur zu wenig bürgerlich war, hatten Heiß unter Druck gesetzt, dieses Bündnis zu verlassen. „Zum Missfallen der meisten Mitglieder“, betont Hans Rößler. Danach verlor der „Bund Reichsflagge“ an Mitgliedern und Bedeutung. Im Jahr 1927 wurde er Teil des Frontkämpferbunds „Stahlhelm“ und wurde später mit diesem in die SA eingegliedert.

Die Verbindung der Missionsanstalt mit dem Nationalsozialismus setzte sich bekanntermaßen fort. 1933 traten Missionsdirektor Friedrich Eppelein und der ehemalige Papua-Neuguinea-Missionar und theologische Leiter des Seminars, Christian Keyßer, in die NSDAP ein.

„Die Verstrickungen unserer Vorgängerorganisation in den Nationalsozialismus sind kaum zu ertragen. Wir empfinden Scham und tiefstes Bedauern. Deshalb begrüßen und unterstützen wir die kritische Aufarbeitung dieses dunkelsten Kapitels der Geschichte der Neuendettelsauer Mission. Das ist ein wichtiger Teil unserer Leitsätze. Es ist unser vitales Interesse, daraus Lehren für unsere heutige Arbeit und die gemeinsame Gestaltung der Zukunft mit unseren Partner*innen zu ziehen“, kommentiert Mission EineWelt-Direktorin Gabriele Hoerschelmann den Vortrag von Hans Rößler. „Heute beziehen wir klar Position gegen Rechtsradikalismus, Rassismus und jede Form von Unterdrückung.“