Wachsen: ja, aber wie? – Podiumsdiskussion beim Bayerischen Kirchentag mit Gabriele Hoerschelmann und Anna-Nicole Heinrich
„Neues wächst auf“, lautete das Motto des diesjährigen Bayerischen Kirchentags auf dem Hesselberg. Eine Diskussionsrunde mit Anna-Nicole Heinrich, Präses der EKD-Synode, und Mission EineWelt-Direktorin Gabriele Hoerschelmann beschäftigte sich am Nachmittag mit der Frage, was denn Strategien für die Umkehrung des Schrumpfungsprozesses der evangelischen Kirche sein könnten.
Kann die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern nur noch schrumpfen? – Der Wassertrüdinger Dekan Hermann Rummel bemühte sich in seinem Einleitungs-Statement um Einordnung des fortgesetzten Verlustes von Kirchenmitgliedern in eine hoffnungsfrohe Perspektive auf die Zukunft. Der Hinweis auf positive Entwicklungen klinge angesichts der immer kleiner werdenden Kirche manchmal wie „Pfeifen im Walde“, räumte er ein. Aber: Manchmal müsse man eben „öfter schauen, ob was wächst, aber es kommt.“ Rummel betonte: „Es gibt so viele kreative Leute in unseren Gemeinden.“ Früchte dieser Kreativität seien unter anderem neue Gottesdienstformen, diakonische Projekte wie Tafeln, die Arbeit mit Geflüchteten oder die Begegnung mit Menschen aus den Partnerkirchen der ELKB, die unter anderem bewirke, dass das Thema Klimawandel kein „gesichtsloses Phänomen“ mehr sei. Alle Zweifelnden forderte der Dekan zudem auf, auf die Mut-Projekte der ELKB zu schauen. „Da kann man sehen, was wächst“, sagte er.
Was über diese positiven Aspekte hinaus noch nötig und möglich wäre, um zu erreichen, dass Neues aufwächst, wollte anschließend Moderatorin Barbara Becker, CSU-Landtagsabgeordnete und ELKB-Synodale, von Mission EineWelt-Direktorin Gabriele Hoerschelmann und Anna-Nicole Heinrich, Präses der EKD-Synode, wissen. Das erste Stichwort war Klimawandel, verbunden mit der Frage, was die Kirche tun könnte, um CO2-neutral zu werden. „Ich glaube, wir müssen den Mut haben, das selbst in die Hand zu nehmen“, antwortete Heinrich und schlug die Gründung einer gemeinnützigen kirchlichen GmbH vor, die zentral den klimagerechten Umbau der Kirche forciert. „Wenn wir als Kirche es schaffen, bis 2030 klimaneutral zu werden, dann hätte niemand mehr ne Ausrede“, zeigte sich die Präses der EKD-Synode optimistisch.
Und was könnte die ELKB von Kirchen in anderen Teilen der Welt lernen? Gabriele Hoerschelmann erinnerte daran, dass es in Sachen Wachstumsstrategie auch „spannend“ sein könnte, „auf unsere Partnerkirchen zu schauen“. Eine stetig wachsende Kirche sei zum Beispiel die Evangelisch-Lutherische Kirche in Tansania (ELCT). Deren Erfolgsgeheimnis liege unter anderem in begeisternden Gottesdiensten mit mitreißender Musik und darin, „dass die Pfarrer*innen und Evangelist*innen die Menschen in ihren Gemeinden sehr gut kennen“, erklärte die Direktorin des Partnerschaftszentrums der ELKB. Interessant sei auch eine Initiative der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Hongkong (ELCHK), die ebenfalls, wie die ELKB, mit Pfarrer*innenmangel zu kämpfen hat: „Jede Gemeinde ermutigt eine Person aus ihren Reihen, Theologie zu studieren und unterstützt diese Person während des Studiums finanziell.“
Auch in Sachen Klimawandel und anderer drängender globaler Probleme, die dringend gelöst werden müssen, sei die weltumspannende Gemeinschaft der Kirchen, wie sie sich unter anderem im Lutherischen Weltbund organisiert, eine sehr gute Möglichkeit, voneinander zu lernen, von den Erfahrungen von Menschen in anderen Ländern zu profitieren und „die Weltprobleme zusammen anzuschauen und zu bearbeiten“, betonte Gabriele Hoerschelmann. „Die christlichen Kirchen und Gemeinden wirken überall in die Welt hinein. Sie sind die sozialen Netzwerke und verbinden die Menschen.“
Gerade während der Zeiten der Corona-bedingten Lockdowns wurde noch einmal mehr klar, dass auch digitale Räume eine Chance sein können, Menschen zu erreichen. Die Kirche komme „zu wenig vor“ in der digitalen Welt, befand Anna-Nicole Heinrich. Dabei seien digitale Angebote für Menschen, die erst anfangen, sich dem christlichen Glauben zu nähern, „niedrigschwelliger“ als Angebote im analogen Raum. „Das ist eine gute Möglichkeit, sich ranzutasten.“ Zudem biete das Internet Gelegenheit, auf „physische Orte“ hinzuweisen. Weiter plädierte Heinrich für den Aufbau einer besseren digitalen Infrastruktur in der Kirche und für mehr Mut zur Kommunikation: „Wir müssen uns trauen, Menschen anzusprechen und einzuladen“. Das gelte für den digitalen ebenso wie für den analogen Raum und könne nicht nur Sache der Öffentlichkeitsarbeit oder von hauptamtlichen Mitarbeitenden sein.
Am Ende der Diskussion waren Ideen gefragt. „Wenn Sie beide die Möglichkeit hätten, in einer Gemeinde Neues wachsen zu lassen, was würden Sie tun?“, wollte Barbara Becker von Hoerschelmann und Heinrich wissen. „Mehr Experimentierfreude“, was die Musik im Gottesdienst angeht und „Kirche und Diakonie sehr eng zusammendenken“, brachte die Direktorin von Mission EineWelt ihre Vorschläge auf den Punkt. Gerade Diakonie sei „das Gesicht der Kirche“, führte Gabriele Hoerschelmann weiter aus. Sie würde an einer Gemeinde arbeiten, in der „Menschen sich gegenseitig helfen“ und in der wirksame Unterstützung beispielsweise für Menschen, die Familienangehörige pflegen, angeboten werde. Anna-Nicole Heinrich plädierte für die Einrichtung von Formaten, die „Menschen, die fest im Glauben stehen“, mit „jungen Menschen, die agnostisch sind“ zusammenbringen. Zudem müsste sich die Kirche vor Ort aus ihrer Sicht noch mehr „als Ehrenamtsbörse verstehen“. Denn in puncto ehrenamtliches Engagement sei die evangelische Kirche „eine Bank“.
Auch diese Diskussion zeigte: Ideen, den Schrumpfungsprozess der Kirche zu stoppen und umzukehren, sind da. Jetzt geht es an die Umsetzung.