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Was macht Hoffnung? – Expertenvortrag zur entwicklungspolitischen Bilanz in Papua-Neuguinea

Was macht Hoffnung? – Expertenvortrag zur entwicklungspolitischen Bilanz in Papua-Neuguinea
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PNG-Experte Roland Seib (Foto: Julia Ratzmann)
PNG-Experte Roland Seib (Foto: Julia Ratzmann)

Es war nicht so, dass er die Zuhörer*innen nicht gewarnt hätte. „Kein Thema ist heute die Schönheit des Landes. Es geht um die sozial-ökonomische Entwicklung der letzten 50 Jahre“, kündigte Roland Seib schon zu Beginn seines Vortrags über Papua-Neuguinea am Abend des 16. Oktober 2025 im Naturhistorischen Museum Nürnberg an. Wer ein Minimum Vorwissen über das Land mitbrachte und wen also nicht schon der Titel des Vortrags „Papua-Neuguinea nach 50 Jahren Unabhängigkeit: Eine entwicklungspolitische Bilanz“ hellhörig gemacht hatte, die und den wiesen die einleitenden Sätze des Darmstädter Verwaltungs- und Politikwissenschaftlers noch einmal deutlich darauf hin, dass die folgenden Ausführungen alles andere als Südsee-Romantik verströmen würden.

Seib, der im Rahmen seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit seit den späten 1980er Jahren bis heute immer wieder für längere Zeiträume in Papua-Neuguinea lebt und arbeitet, hat an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, der heutigen Deutschen Universität, zum Thema „Staat, Governance und Dezentralisierung in Papua-Neuguinea“ promoviert. Speziell für alles, was mit der Entwicklung des Landes zusammenhängt, darf er in Deutschland als Experte gelten.

Tatsächlich ist die Bilanz des Wissenschaftlers wenigstens ernüchternd, wenn nicht niederschmetternd. Nach einer Kolonialzeit, die auch in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, vom strukturellem Rassismus der australischen Regierung geprägt gewesen war, ging Papua-Neuguinea (PNG) 1975 mit hohen Idealen in die Unabhängigkeit. Ziele des unabhängigen Staats seien unter anderem Chancengleichheit und generell die Verhinderung einer „Sozialdifferenzierung der egalitären Gesellschaften“, Naturschutz sowie generell ein nicht-kapitalistisches Wirtschaftssystem gewesen, erläuterte Seib. Was folgte, beschrieb der Politikwissenschaftler, als „fragmentierte Politik für eine fragmentierte Gesellschaft“ in Form von Korruption und kleinteiliger Klientelpolitik, begünstigt durch die geographisch bedingte extreme Diversifizierung der Bevölkerung in 700 bis 1000 Volksgruppen mit über 800 verschiedenen Sprachen und Dialekten. „Politiker*innen versuchen, den eigenen Wähler*innen etwas zu geben, damit diese sie wählen“, erläuterte Seib ein Prinzip der politischen Praxis. Das sei „ein zentrales Manko“ des politischen Systems in PNG „seit 50 Jahren“. Als Ausdruck dieser Fragmentierung sieht der PNG-Experte auch die politische Struktur des Landes mit „98 Distriktbehörden, 372 Lokalregierungen und 6832 Gemeindeparlamenten“. Nach der „Auflösung der 22 Provinzparlamente im Jahr 1995“ sei die Situation noch vertrackter geworden.

Auch bei den in der Regel alle fünf Jahre stattfindenden Wahlen zum Nationalparlament seien seit Ende der 1980er Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug gang und gäbe – mit steigender Tendenz, kritisierte Roland Seib. „Die Wahlen erfüllen keineswegs demokratische Mindeststandards.“ Zudem würden „50 Prozent“ der 118 Abgeordneten ohnehin „nicht mehr gewählt“, sondern bestimmt. Und: „Viele Bürger*innen werden gar nicht mehr als Wähler*innen erfasst.“ Die letzten Parlamentswahlen von 2022 werden laut Seib immer noch wegen Korruption gerichtlich angefochten. Seine Zwischenbilanz: „Instabilität ist immanenter Bestandteil des politischen Systems.“

Wirtschaftlich sieht es in PNG ähnlich aus wie in einigen anderen Ländern des Globalen Südens, die über reichlich Rohstoffvorkommen verfügen. Die internationalen Konzerne stehen Schlange, und ein korruptes System erleichtert ihnen den Zugang. Die wertvollen Ressourcen werden rücksichtslos gegen Mensch und Natur ausgebeutet. Im Land profitieren allenfalls Mitglieder der wirtschaftlichen und politischen Eliten. Die eigentliche Wertschöpfung findet aber außerhalb des Landes statt. Im Fall von Papua-Neuguinea geht es dabei hauptsächlich um Mineralien, Öl, Gas und Gold. „Der Anteil des Bergbaus an den Exporten hat sich beständig vergrößert bis auf fast 85 Prozent“, erläuterte Roland Seib. Der sei allerdings größtenteils in der Hand internationaler Konzerne. „Nur eine Mine ist einheimisch kontrolliert.“ Allerdings zahlen die Konzerne kaum Steuern. „Manche Unternehmen haben seit 23 Jahren noch nie Steuern gezahlt“, betonte der Politikwissenschaftler. Insgesamt seien die Einkommenssteuereinnahmen höher als die aus der Unternehmenssteuer. Und das bei einer Beschäftigungsquote die seit 1975 von 6 Prozent auf 4,4 Prozent geschrumpft ist – in absoluten Zahlen: von 320.000 auf 230.000 Beschäftigte.

Auf den fatalen Folgen des Bergbaus bleiben die Bürger*innen sitzen. Der kontaminierte Abraum aus den Minen wird in die Flüsse und ins Meer verklappt. „Das führt zu einer massiven Umweltzerstörung“, berichtete Seib. Der Raubbau an der Natur macht auch vor dem Regenwald nicht halt. Zwischen 1972 und 2002 sei ein Viertel des Regenwaldes – oft illegal – abgeholzt worden, so der PNG-Experte, teilweise auch mit Beteiligung hochrangiger Politiker. Von den Profiten aus den Palmölplantagen, die auf den gerodeten Arealen entstehen, bleibe kaum etwas bei den Einheimischen hängen, weil die Plantagen fast vollständig von ausländischen Firmen kontrolliert würden. „Mit Zustimmung der Regierung“, betonte Seib.

Entsprechend ernüchternd fiel sein Resümee aus: PNG priorisiere einen „extraktiven Entwicklungsweg zu Gunsten Weniger“. Die Mehrheit müsse die Folgen tragen und habe nichts davon. „Die Bevölkerung ist weiterhin auf sich gestellt. Die Menschen müssen ohne staatliche Hilfe zurechtkommen.“ Und wenn weiterhin auf Bergbau gesetzt werde, könne „man nur erwarten, dass alles schlimmer wird“.

Hoffnung schöpft Seib aus dem „Ausbau kritischer sozialwissenschaftlicher Fächer an den Hochschulen in PNG. Mit dieser „wachsenden intellektuellen Kapazität“ könne beispielsweise die Bekämpfung von Korruption Fahrt aufnehmen.

Sein Schlusssatz klang nicht unbedingt so, als würde er seiner eigenen Hoffnung trauen: „Hoffen wir das Beste, dass sie das hinbekommen.“

21. Oktober 2025
von Thomas Nagel