Wir schaffen das! Oder doch nicht? Diskussionsabend zur Flüchtlingspolitik von Mission EineWelt in Nürnberg
Barbara Lochbihler, außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament (EP) und Vizepräsidentin des EP-Menschenrechtsausschusses, war am Internationalen Tag der Menschenrechte in Nürnberg zu Gast und stellte sich mitunter auch kritischen Fragen zur Migrations- und Flüchtlingspolitik der EU. Über 80 Interessierte nahmen an der Kooperationsveranstaltung von Mission EineWelt, dem Menschenrechtsbüro und der Evangelischen Stadtakademie teil.
Die Kanzlerin gibt sich in der Flüchtlingskrise unbeirrt. Deutschland soll Migranten weiter freundlich aufnehmen. Doch wegen ihrer „Wir schaffen das“-Politik wird Angela Merkel nicht nur aus den eigenen Reihen unter Druck gesetzt. Für viele bleibt der Appell eine Floskel und Fragen zum „Wer“ und „Wie“ bleiben offen. In der EU werden derweil die Pläne des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker diskutiert. Diese sollen das Chaos beispielsweise auf der Balkanroute eindämmen. Doch auch hier stehen verschiedene Staaten den Vorschlägen Brüssels kritisch gegenüber. Auch die EU-Politikerin Barbara Lochbihler betrachtet die Reformvorschläge Junckers mit Skepsis. „Das Mittelmeer ist die tödlichste Grenze der Welt. Mehrere tausend Menschen sind hier in den vergangenen Jahren bei ihrer Flucht ertrunken. Der Vorschlag Junckers enthält zwar progressive Elemente, doch die Abschottung Europas wird damit ebenfalls nochmals verstärkt“, so die menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion.
Mit Hilfe so genannter „Hotspots“ in Griechenland und Italien, in denen Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Europa schneller registriert und verteilt werden sollen, will die EU nun erstmal die bestehenden Flüchtlingszentren entlasten. Darüber hinaus wird, so Lochbihler, auch über weitere Hotspots außerhalb Europas sowie über ein Flüchtlingslager direkt in Syrien nachgedacht. Genauere Informationen dazu konnte die Vizepräsidentin des Menschenrechtsausschusses im Europäischen Parlament jedoch nicht geben. Dass allerdings der Minimalkompromiss der EU-Innenminister über die Verteilung von 160.000 Asylsuchender aus Ungarn, Griechenland und Italien als gescheitert bezeichnet werden kann, wurde aus ihren Ausführungen deutlich. Bereits der Beschluss, der mehr politisch als rechtlich bindenden Einigung, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach einem Treffen der Innenminister im September in Brüssel verkündete, fiel nicht einstimmig aus. Nicht verwunderlich ist daher auch, dass noch nicht einmal fünf Prozent der geplanten Umverteilung stattgefunden hat.
Laut Lochbihler steht Deutschland wie auch die gesamte Europäische Union vor einer historischen Herausforderung, die uns auch noch sehr lange beschäftigen wird. Krisen, Kriege und Konflikte wie in Syrien, dem Irak, der Ukraine und im Südsudan trieben immer mehr Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Auf der Suche nach Frieden und Stabilität kämen dabei auch immer mehr Vertriebene zu uns. Einige Bürger machten sich deshalb große Sorgen, wie Deutschland das alles schaffen kann. „Wie sollen wir denn den Ängsten begegnen? Gibt es eine sozialpsychologische Aufarbeitung?“ lautete eine Frage aus dem Plenum, die vielen auf der Seele brennt. Mit Offenheit, mit umfassenden Informationen und mit Gesprächen, so die Meinung der menschenrechtspolitischen Sprecherin. „Viele Menschen wissen beispielsweise gar nicht, dass die meisten Menschen nicht in die EU, sondern in direkte Nachbarländer oder auch nur innerhalb ihres Heimatlandes flüchten.“ Die Zahl dieser so genannten Binnenflüchtlinge, die in ihrem eigenen Land auf der Flucht sind, beziffert die Weltflüchtlingsorganisation UNHCR für 2014 auf über 38 Millionen Menschen. Nur ein Bruchteil derjenigen, die weltweit fliehen, kämen somit zu uns. „Und diejenigen, die es tun, sollten nicht als Risiko, sondern vielmehr als Chance gesehen werden“ so Lochbihler. Deutschland werde künftig mit demografischen Problemen rechnen müssen. „Hier können die Flüchtlinge durchaus unser System stabilisieren.“ Wichtig sei vor allem, dass Flüchtlings- und Asylpolitik nicht gegen die Sozialpolitik ausgespielt werde. Diskussionen darüber, ob Flüchtling beispielsweise Sozialhilfeempfängern Wohnraum oder Ähnliches wegnehmen, seien nicht hilfreich. „Vielmehr unterfüttert es noch die Propaganda von Pegida und anderen rechtspopulistischen Vereinigungen.“
In der Begegnung mit fremden Menschen die Chance und die Bereicherung zu sehen, war auch das zentrale Thema in der Kurzandacht von Pfarrerin Gisela Voltz, Referentin für entwicklungspolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit bei Mission EineWelt, die bereits um 17.00 Uhr mit rund 50 Besuchern in der Lorenzkirche stattfand. Und sowohl dort als auch in der Diskussionsveranstaltung im Haus eckstein wurde der Blick auch auf die Fluchtursachen geworfen. Die Situation in den Ländern, aus denen die Menschen auf Grund von Verfolgung, Gewalt oder Perspektivlosigkeit weg wollen oder müssen, müsse verbessert werden. Dazu reicht finanzielle Hilfe in Form von Entwicklungsgeldern nicht aus. „Vielmehr muss auch die Handels- und Agrarpolitik der EU reformiert werden“ so Lochbihler und Voltz einstimmig. „Wir müssen uns für gerechtere Handelsbedingungen und Menschenrechte in unserer Welt einsetzen, damit immer mehr Menschen ein Leben in Würde und ohne Armut führen können.“
Einen Beitrag zur Aufklärung und Bewusstseinsschaffung zu diesem Thema möchte auch die Ausstellung „auf und davon“ von Mission EineWelt leisten. Auf fünf Rollups wird ein Blick auf die menschenrechtliche Perspektive zur aktuellen gesellschaftlichen Debatte zu Flucht und Migration geworfen. Die Ausstellung ist im Dezember und Januar noch im Haus eckstein in Nürnberg zu besichtigen. Ausgeliehen werden kann sie direkt über das Partnerschaftscentrum.
Weitere Informationen:
Kurzandacht vom 10.12.2015 in St. Lorenz von Gisela Voltz (PDF)
Informationen zur Ausstellung von Mission EineWelt