Theologische Einführung
Wir sitzen nicht alle in einem Boot!
Die Lasten des Klimawandels sind ungleich und ungerecht verteilt
Dass der Zustand des Klimas auf unserem Planeten bedrohlich ist, darüber sind sich alle Klimaexpert*innen einig. Kein Zweifel besteht auch daran, dass es die anhaltenden Treibhausgasemissionen sind, die starke Klimaänderungen und Extremwetterereignisse auf der ganzen Welt verursachen. Der Klimawandel ist menschengemacht.
Die Erwärmung der unteren Atmosphäre und der Ozeane, die Veränderungen des globalen Wasserkreislaufs, die weltweite Abnahme von Eis und Schnee, der Anstieg des mittleren globalen Meeresspiegels, veränderte Jahreszeiten, Hitzewellen, Überflutungen, Starkniederschläge, Dürren und tropische Wirbelstürme – diese apokalyptisch anmutende Auswahl ist nur ein Teil der bedrohlichen Symptome der Klimakrise.
Die Klimakrise betrifft uns alle, aber auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Vom Klimawandel und seinen bedrohlichen Wellen sind alle Länder der Welt betroffen. Allerdings leiden durchschnittlich diejenigen, die am meisten zum Klimawandel beigetragen haben, am wenigsten unter den Auswirkungen. Und umgekehrt sind diejenigen, die am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind, im Schnitt viel stärker den Risiken ausgesetzt. Auch was die Auswirkungen des Klimawandels betrifft, sitzen die Menschen also nicht alle im sprichwörtlichen gleichen Boot.
Vielmehr sind die Zustände unserer Boote sehr unterschiedlich: Arme Menschen sitzen in einem Boot, das vielleicht schon ein oder mehrere Lecks hat und deswegen dem Untergang nahe ist. Kleinbauern im Globalen Süden sitzen in einem einfachen Fischerboot, und ihnen fehlt ein Ruder, um gegen die hohen Wellen des Klimawandels anzukämpfen. Dagegen sitzt die reiche und wohlhabende Gesellschaft im Globalen Norden recht komfortabel auf einem Luxusdampfer, der mit den Wellen (noch) gut zurechtkommt.
Gerecht ist das nicht.
Das Konzept der „Klimagerechtigkeit“ ist ein Aufschrei gegen diese Ungerechtigkeit und ein Aufruf für mehr soziale Gerechtigkeit weltweit. Klimagerechtigkeit beinhaltet den Kampf für soziale Gerechtigkeit, der anerkennt, dass nicht alle die gleiche Verantwortung für die Klimakrise tragen. Soziale Gerechtigkeit basiert auf der grundlegenden Würde jedes einzelnen Menschen und strebt deshalb ein besseres Leben für alle an. Bildlich gesprochen: Es darf uns – vor allem auch als Christ*innen! – nicht egal sein, dass der Zustand der Boote anderer Menschen miserabel ist. Im Gegenteil: Es ist unser aller Pflicht, dafür zu sorgen, dass sich alle in einem Boot oder besser noch auf einem Schiff befinden, auf dem man möglichst gut mit den Wellen der Klimakrise zurechtkommen kann.
Die Vision von einem globalen Reich Gottes, in dem besonders den Armen Gerechtigkeit widerfährt und Gottes Option für die Armen in die Tat umgesetzt wird, ist für mich motivierend, für mehr soziale Gerechtigkeit einzutreten.
Bei Klimagerechtigkeit geht es auf der einen Seite um den Kampf für Soziale Gerechtigkeit, auf der anderen Seite auch um einen neuen, nachhaltigen und umweltschonenderen Lebensstil. Beides ist beim Klimawandel von großer Relevanz. Oder mit anderen Worten: Es geht um den Mitmenschen, aber auch um die Schöpfung insgesamt. Diese beiden Seiten lassen sich nicht voneinander trennen.
In der Schöpfungsgeschichte können wir davon lesen, dass Gott den Menschen aus Erde formte. Das hebräische Wort für Erde ist „adamah“ und das hebräische Wort für Mensch ist „adam“. Diese sprachliche Nähe der beiden Worte bezeugt die enge Zusammengehörigkeit des Menschen mit dem Erdboden. Der Boden ist gemäß der Schöpfungsgeschichte Grundlage unseres menschlichen Daseins und Lebens. Wie viel mehr gilt es, den Erdboden zu bewahren, mit dem Wissen, dass die Erde nicht dem Menschen gehört, sondern Gott. Wie können wir nur die Grundlage unseres eigenen Daseins zerstören?
Vielleicht ist mal wieder die Sünde an allem schuld! Zusammen mit Jesu Worten könnten wir bezeugen: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ (Mk 14,38) Dass das Fleisch schwach ist, steht außer Frage, vor allem, wenn das Gute zu erreichen etwas Anstrengung kostet, wie bei unserer Verantwortung für unsere Mitgeschöpfe und die Schöpfung insgesamt.
Die Sünde hat zu einem gestörten Mensch-Gott-Verhältnis geführt, wohl aber auch zu einer gestörten Mensch-Mitmensch-Beziehung und zu einer gestörten Mensch-Natur-Beziehung. Die Sünde ist gemäß Paulus (Röm 8,22) daran schuld, dass die ganze Schöpfung mit uns seufzt, sich ängstigt und nach Erlösung sehnt. Die Erlösung der Schöpfung erfordert jedoch eine Umkehr des Menschen, einen radikalen Wandel im Lebensstil. Gottes Bestimmung für unser Leben schließt die Verantwortung für unsere Mitgeschöpfe und die gesamte Schöpfung ein. Wir sind alle Adressaten dieses Rufes zur Umkehr, zur Neubesinnung und zu einer gelebten „Ethik des Genug“. Große Frage bleibt: Sind wir bereit dazu, unsere eigenen Lebensstandards und den damit verbunden Wohlstand und Luxus zurückzuschrauben, mit der Absicht, einen nachhaltigeren Lebensstil zu führen und damit die bedrohlichen Auswirkungen der Klimakrise wenigstens einzudämmen?
„Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern.“ Viele kennen sicherlich diesen bekannten Kanon, der uns vielleicht auch angesichts der großen Fragen und Herausforderungen der Klimakrise Mut machen kann.
Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern: An einem kleinen Ort im Südwesten Tansanias, in Kidugala, wo ich derzeit als Dozentin an der Bibelschule arbeite, richten die knapp 150 Theologiestudierenden viele kleine Gärten der Hoffnung ein. Mit diesen Gemüse- und Obstgärten, die mit ausschließlich natürlichem Dünger gedüngt werden, will sich die Gemeinschaft am Campus der Bibelschule selbst versorgen. Diese Gärten tun nicht nur dem Erdboden gut, sondern auch dem Menschen, dessen Lebensgrundlage der Erdboden ist. Für diese Gärten am Campus gibt es ein Leitwort, das auf Kisuaheli wie folgt lautet: „Tunza uumbaji ili ukutunze.“ – ins Deutsche übersetzt: „Sorge für die Schöpfung, damit sie für dich sorgt!“ Diese kleinen Paradiese, die im Rahmen des Fachs „Grüne Theologie“ an der Bibelschule in Kidugala entstanden sind, tun der Schöpfung Gottes gut, aber auch den Studierenden selbst. Die Studierenden erfreuen sich am guten Essen, aber auch an den schattigen Erholungsplätzen unter den gepflanzten Bäumen und Bananenstauden. Zusätzlich geben die Studierenden und Dozenten auch Seminare für Außenstehende in den Gemeinden, um ihr Wissen weiterzugeben. Durch diese Seminare können viele von dem Wissen profitieren, wie man nachhaltig mit dem Erdboden, unserer Lebensgrundlage, umgehen kann, wie man für die Schöpfung sorgen kann, damit sie für uns sorgt.
Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern: Vielleicht wird eines Tages die Mensch-Natur-Beziehung wieder in Ordnung sein und die Schöpfung wieder gut sein. Vielleicht wird auch die Mensch-Mitmensch-Beziehung wieder harmonisch sein und die Gerechtigkeit wieder einen Platz auf der Erde haben.
Und dann könnte es sogar sein, dass wir alle in einem Boot sitzen und die Wellen der Klimakrise sich gelegt haben.
Tina Scheibenberger