Was ist öffentliche Theologie? Und was bedeutet sie im Kontext Brasiliens? Diese Fragen standen im Zentrum des Vortrags von Prof. Dr. Rudolf von Sinner von der Escola Superior da Teología (EST) in Brasilien an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau. Der Vortrag am 21. Januar fand im Rahmen der langjährigen Partnerschaft zwischen der EST, der Augustana Hochschule (AHS) und Mission EineWelt statt.
Prof. von Sinner, Autor und Herausgeber mehrerer Aufsätze und Bücher zur öffentlichen Theologie, regte mit seinem Beitrag dazu an, über länder- und kontextübergreifende gemeinsame theologische Anliegen nachzudenken. Denn die öffentliche Theologie wird seit einigen Jahren auch innerhalb Deutschlands prominent vorangetrieben: Der Landesbischof der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, hat schon in der Zeit seiner Professur in Bamberg einen deutlichen Schwerpunkt in diesem Feld gesetzt und entscheidend zur Entstehung des Globalen Netzwerks für Öffentliche Theologie beigetragen. Darüber hinaus besteht – von brasilianischer wie von deutscher Seite – ein intensiver Austausch mit dem Beyers Naudé Zentrum für Öffentliche Theologie der Universität in Südafrika und weiteren südafrikanischen Einrichtungen.
Sowohl in Brasilien als auch in Südafrika hat in den 1980er und 1990er Jahren ein enormer politischer und gesellschaftlicher Umwälzungsprozess stattgefunden. 1985 ist das Jahr des Endes des Militärregimes und der Beginn der Demokratie in Brasilien; 1989 trat Frederik Willem de Klerk als Nachfolger von Pieter Willem Botha als südafrikanischer Staatspräsident in Verhandlungen mit dem noch immer inhaftierten ANC-Führer Mandela, 1990 wurde Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen. Mit diesen politischen Veränderungen einher ging und geht die Neubestimmung der Aufgabe und Rolle von Kirche und Theologie. Was in dieser Situation nötig war und ist, so von Sinner in Aufnahme von Hugo Assmann, dem zur Zeit des Militärregimes radikalsten Vertreters der Befreiungstheologie, ist eine „Theologie der Solidarität und der Bürgerschaftlichkeit (cidadania) als Fortsetzung der Theologie der Befreiung“. Der Befreiungstheologie fehlte es an „konkreten Vorschlägen zur Neugestaltung des Landes“. Nötig, so von Sinner, sei die Weiterführung der Befreiungstheologie hin zu einer Theologie, die die Rechte und Pflichten der Bürger, ihre Fähigkeit zur Mitgestaltung des politischen und gesellschaftlichen Lebens stärkt – die BürgerInnen also befähigt, mündige BürgerInnen zu sein.
Zentraler Bezugspunkt der öffentlichen Theologie sind das biblische Zeugnis und die Tradition. Die Botschaft von der Rechtfertigung durch Gnade ist bleibend relevant in einer Situation, in der Menschen noch immer an den Rand gedrängt und ihrer Bürgerrechte und Würde beraubt werden. Kirche und Theologie sind gefordert, sich mit ihrer Botschaft in den gesellschaftlichen Diskurs einzumischen und an einer gerechten Gesellschaft mitzuarbeiten. „Von öffentlicher Theologie zu sprechen“, so von Sinner, „ermöglicht eine nüchterne, aber dennoch engagierte Reflexion über die Rolle der Religion, namentlich der Religionsgemeinschaften in der Gegenwart, in der Politik, der Gesellschaft, der Wissenschaft“. Es geht um eine Theologie des Lebens, eine Theologie, die das Leben fördert und lebensfördernde Bedingungen einfordert. Eine Weiterentwicklung also der Befreiungstheologie, politischen Theologie oder Kairostheologie – ein wichtiger Impuls, der dazu einlädt und auffordert, die kirchliche und theologische Komfortzone zu verlassen und sich einzumischen.