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„Da ist eine ganz andere Stimmung“ – Geraldo Grützmann zum Ausgang der Präsidentschaftswahl in Brasilien

Nach einem hochdramatischen Kopf-an-Kopf-Rennen steht jetzt das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Brasilien fest. Der Herausforderer und frühere Präsident Lula da Silva hat den aktuellen Amtsinhaber Jair Bolsonaro denkbar knapp mit 50,9 zu 49,1 Prozent der Stimmen besiegt. „Lulas Wahlsieg gegen Bolsonaro ist von großer Bedeutung“, sagt Geraldo Grützmann, Brasilienreferent von Mission EineWelt, „nicht nur für Brasilien, sondern weltweit.“

Für Geraldo Grützmann war die Nacht zum 31. Oktober kurz. Minutiös hat der brasilianische Theologe den Verlauf der Stimmenauszählung bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien verfolgt und ist dabei durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen. „Zwischenzeitlich hatte ich große Angst, dass es doch nicht für Lula reichen könnte“, bekennt er. Lula übernahm erst im letzten Drittel der Auszählung die Führung. Bis etwa 70 Prozent der Stimmen ausgezählt waren, lag Amtsinhaber Bolsonaro vorne. „Jetzt ist die Erleichterung groß“, freut sich Grützmann. „Vier weitere Jahre mit Bolsonaro als Präsident wären eine Katastrophe gewesen.“ Nach Einschätzung des Brasilienreferenten von Mission EineWelt hätte eine Fortsetzung der Ära Bolsonaro insbesondere für den Amazonasregenwald „das Ende“ bedeutet.

Doch ein Unterschied von etwa zwei Millionen Stimmen ist bei fast 120 Millionen abgegebenen gültigen Stimmen nicht groß. „Das Ergebnis zeigt, wie stark die brasilianische Gesellschaft polarisiert ist“, sagt Grützmann. Zudem hat Lulas Partido dos Trabalhadores (PT) keine Mehrheit in Kongress und Senat. Es werde also für Lula „nicht einfach, dieses Land zu regieren“, prognostiziert der Theologe. Dennoch überwiegt die Hoffnung, dass Lulas angekündigter Kurs der Versöhnung erfolgreich sein wird. Grützmann meint: „Es kommt jetzt viel auf die ersten Monate an.“ Wenn in dieser Zeit der Eindruck entstehe, es ginge nichts voran, könne die Stimmung im Land kippen. Wichtig werde vor allem sein, dass Lula es schafft, beim Umwelt-/Klimaschutz und in der Sozialpolitik Mehrheiten zu bilden und Veränderungen auf den Weg zu bringen.

Auf einem guten Weg sieht Geraldo Grützmann die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (Igreja Evangélica de Confissão Luterana no Brasil, IECLB), die in der Frage „Lula oder Bolsonaro?“ ebenso gespalten war wie die brasilianische Gesellschaft insgesamt: „Die Erleichterung in der IECLB ist groß. Die Kirchenleitung hat einen Versöhnungsprozess begonnen“, erklärt er. Bis jetzt habe dieser Prozess durch „Gegenwind aus der Bolsonaro-Regierung gelitten. Letzteres werde jetzt nicht mehr der Fall sein. „Die Versöhnung wird leichter“, meint der Theologe.

Doch zunächst lautet die entscheidende Frage: Wird Bolsonaro das Wahlergebnis anerkennen? „Ich habe bisher mehr Bolsonaro-Anhänger*innen gesehen, die zwar enttäuscht waren, aber das Wahlergebnis nicht in Frage gestellt haben. Das macht mir Hoffnung“, sagt Grützmann. Zudem seien viele, die sich zu Bolsonaros Zeiten „zurückgezogen“ hätten, „jetzt auf die Straße gegangen“. Es herrsche „eine ganz andere Stimmung“. Aber: „Wenn Bolsonaro jetzt mit der Botschaft, Lulas Sieg sei Wahlbetrug gewesen, an die Öffentlichkeit geht, kann es gefährlich werden.“