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EU-Mercosur – Freihandelsabkommen mit absehbaren Risiken

Thomas Fritz, Referent für Handel und Investitionen bei der Nichtregierungsorganisation PowerShift, sieht das geplante EU-Mercosur-Freihandlesabkommen kritisch (Foto: Thomas Nagel)

Thomas Fritz, Referent für Handel und Investitionen bei der Nichtregierungsorganisation PowerShift, sieht das geplante EU-Mercosur-Freihandlesabkommen kritisch (Foto: Thomas Nagel)

Freihandel klingt gut, ist es aber nicht. Jedenfalls nicht für alle, sondern nur für wenige. Das trifft auch auf die Freihandelsabkommen zu, die derzeit zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay sowie mit Mexiko und Chile verhandelt werden. Thomas Fritz, Referent für Handel und Investitionen bei der Nichtregierungsorganisation PowerShift, zeigte in seinem Vortrag bei der Lateinamerikawoche in Nürnberg, dass durch diese Abkommen bereits bestehende Gefälle zwischen Globalem Norden und Globalem Süden noch verstärkt werden. Die Folgen treffen die Bevölkerung dort wie – etwas später – hier.

Die Verhandlungen zum EU-Mercosur-Abkommen laufen schon seit dem Jahr 2000. Da viele europäische Firmen in den Mercosur-Ländern, vor allem in Brasilien und Argentinien, investieren, sei die EU „erpicht“ auf den Abschluss dieses Freihandelsabkommens, erklärte Fritz. Allerdings sei die inhaltliche Ausgestaltung des Abkommens trotz einer grundsätzlichen politischen Einigung vor fünf Jahren nach wie vor umstritten. Vor allem Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der die Entwaldung Brasiliens während seiner aktuellen Amtszeit erklärtermaßen komplett stoppen möchte, pocht auf Änderungen zu Gunsten der Mercosur-Länder. Denn in seiner bisherigen Form spiegelt das Abkommen eine krasse Schieflage hinsichtlich der Verteilung der Vorteile wider. Oder, in den Worten von Thomas Fritz: „eine klassische Nord-Süd-Beziehung“.

Schon im Rahmen der derzeit bilateral geregelten Handelsbeziehungen sind die Mercosur-Länder überwiegend Lieferanten unverarbeiteter Produkte. Im Jahr 2020 importierte die EU für 18,8 Milliarden Euro Agrarprodukte, hauptsächlich Soja, und für 6,4 Milliarden Euro Rohstoffe aus diesen Ländern. Fertige Produkte wie Maschinen, Autoteile und sonstige Industriewaren waren weit weniger nachgefragt. Demgegenüber exportierte die EU im gleichen Jahr für 13,8 Milliarden Euro Maschinen und Autoteile sowie für 16 Milliarden Euro Industriewaren in den Mercosur-Raum.

Die Folgen dieser Konstellation sind so tiefgreifend wie umfassend. Zum einen sei die hohe Importquote für Agrarprodukte wie Soja und die damit verbundene Aussicht auf Profite ein „Anreiz für mehr Raubbau, um die Sojaproduktion auszuweiten und dafür die Felder zu vergrößern“, konstatierte Fritz. Konkret heißt das: Wald wird gerodet, die CO2-Bindung lässt nach und in der Folge steigen die Treibhausgas-Emissionen. Das Fazit des Handelsexperten: „Es ist unglaublich, dass man meint, ein solches Abkommen, das den Anbau waldgefährdender Produkte begünstigt, in Zeiten des Klimawandels abschließen zu müssen.“

Auch die Kleinbauern oder die arme Landbevölkerung im allgemeinen würden laut Fritz nicht vom EU-Mercosur-Abkommen profitieren. Weder wächst dadurch die kleinbäuerliche Landwirtschaft, da sie in der Produktion der Exportschlager Soja und Rindfleisch keine relevante Rolle spielt. Noch ist eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten. Im Gegenteil: Die Arbeitsverhältnisse in den agrarindustriellen Großbetrieben seien „sklavenähnlich“, betonte Thomas Fritz. Obendrauf kommen Konflikte um Land und Wasser, unter denen die Landbevölkerung und insbesondere die Indigenen leiden.

Nicht anders sieht es bei der industriellen Entwicklung aus. Schon die aktuellen Handelsbeziehungen haben dazu geführt, dass der Anteil der verarbeitenden Industrie am Bruttoinlandsprodukt in Brasilien und Argentinien seit den 1960er Jahren gesunken ist, in Brasilien von 35 auf 10 Prozent, in Argentinien von 40 auf nurmehr 15 Prozent. Auch eine Dienstleistungsindustrie ist nicht entstanden. Stattdessen, so Fritz, gebe es einen Boom im sogenannten „informellen Sektor“, also bei Jobs ohne jegliche Absicherung des Arbeitsverhältnisses.

Der gestiegene Export-Anteil bei den Primärgütern mit rückläufiger Wertschöpfung bei gleichzeitigen Rückschritten in der industriellen Entwicklung – dieser Trend würde durch das EU-Mercosur-Handelsabkommen noch einmal verstärkt, fasste Thomas Fitz zusammen und berief sich dabei auf eine Folgenabschätzung der EU-Kommission. Diese, so der Handelsexperte, gehe davon aus, dass der Mercosur-Raum durch das Abkommen stark verlieren würde. Die EU-Exporte dagegen würden, insbesondere bei Industriewaren, deutlich nach oben gehen.

Dass das schlicht unfair ist, weil es die Entwicklung der Mercosur-Länder behindert und die Zerstörung weltweit wichtiger natürlicher Ressourcen sowie die Missachtung von Menschenrechten fördert, scheint in den Entscheidungsgremien der EU nicht wirklich von Interesse zu sein. Ebenso wenig scheint das dauerhafte Wohlergehen der EU-Bürger*innen relevant, das mindestens durch den via Raubbau am Regenwald forcierten Klimawandel und seine Folgen bedroht ist.

Ganz ähnlich beurteilte Thomas Fritz die bereits existierenden Freihandelsabkommen mit Mexiko und Chile. Diese sollen nun jeweils um ein Investitionsschutzabkommen ergänzt werden. Dadurch wird es Investoren, die sich durch politische Entscheidungen benachteiligt fühlen, ermöglicht, vor privaten internationalen Tribunalen Staaten zu verklagen. In diesen Investor-Staat Schiedsverfahren (Investor-State Dispute Settlement, ISDS) geht es laut Fritz meist um Entschädigungen im zweistelligen Millionenbereich. Eine Abwägung mit Gemeinwohlinteressen ist nicht vorgesehen, und das Klagerecht liegt exklusiv bei den Investoren: Weder Regierungen noch Bürger*innen können vor diesen Tribunalen Klage erheben. Und die Investoren bekommen in vielen Fällen recht. Dieses „Bedienen von Investoreninteressen“ sei „undemokratisch“, monierte Thomas Fritz und wies auf einen besonders pikanten Fakt in diesem Zusammenhang hin: „Die ISDS-Tribunale verstoßen gegen EU-Recht.“ Folgerichtig wurden und werden bestehende Investitionsschutzabkommen innerhalb der EU gekündigt. „Innerhalb der EU wird es solche Schiedstribunale in absehbarer Zeit nicht mehr geben“, so der Handelsexperte. Dass es mit Drittstaaten weiterhin Investitionsschutzabkommen mit privaten Tribunalen gebe, sei ein „ganz klarer Doppelstandard“.

Dadurch dass Gemeinwohlinteressen vor diesen Tribunalen nicht zählen, und dadurch, dass die staatlichen Gerichte mitsamt ihrer Rechtsprechung und politische Entscheidungen durch diese Tribunale ausgehebelt werden, entsteht wiederum eine Schieflage: Umweltschutzvorschriften oder Gesetze, die, zum Beispiel durch Regulierungen bei der Förderung von Rohstoffen, mehr Wertschöpfung im Land halten sollen, können einen Staat sehr teuer zu stehen kommen. Einzelne Sektoren der Infrastruktur oder der Daseinsfürsorge von Privatisierung ausnehmen zu wollen oder Privatisierung, beispielsweise im Bereich der Energieversorgung, zurückzunehmen, kann ebenfalls zu empfindlichen Strafen führen.

Die von Befürworter*innen solcher Investitionsschutzabkommen oft ins Feld geführte positive Wirkung von Investitionen auf die wirtschaftliche Entwicklung der Länder, in denen investiert wird, hält sich laut Fritz dagegen in Grenzen. Auch in Mexiko laufe ein Großteil der Investitionen über von Konzernen gegründete Holdinggesellschaften – mit Sitz in Steueroasen wie Luxemburg oder den Niederlanden. Durch Geschäfte mit diesen Briefkastenfirmen würden Gewinne aus Investitionen heruntergerechnet, erklärte der Handelsexperte. Die Folge: In Mexiko werden für die europäischen Konzerne kaum Steuern fällig. „Investitionen sind nicht allein seligmachend“, fasste Thomas Fritz zusammen.

Der Weg zu globaler Gerechtigkeit und wirklich fairem Wettbewerb ist noch weit.

 

Eine Videoaufzeichnung des Vortrags von Thomas Fritz bei der Lateinamerikawoche ist hier zu finden: https://www.lateinamerikawoche.de/mediathek/