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Corona im Kongo – Angst in der Bevölkerung und schlechte Versorgung

Interview mit Markus Schmidt

 

Wie ist die aktuelle Situation im Kongo bezüglich Corona?

Offiziell ist seit 10. März der erste Fall einer COVID19-Erkrankung bestätigt. Die ersten Fälle waren zunächst sogenannte importierte Fälle, vor allem aus Frankreich und Belgien. Zu diesen Ländern unterhält die Demokratische Republik Kongo traditionell enge Beziehungen. Seither steigen die Fallzahlen stetig. Zunächst war nur Kinshasa betroffen. Mittlerweile sind auch in zwei anderen Provinzen (vergleichbar den Bundesländern) vereinzelt Fälle bestätigt worden.

 

Wie viele dokumentierte Infektionen gibt es?

Täglich gibt es eine Pressekonferenz in Kinshasa, wo der nationale Beauftragte über die neuesten Entwicklungen berichtet. Stand heute (31. März 2020, 14 Uhr) sind 98 Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CCoV-2 bestätigt. Es gibt die Internetseite www.stopcoronavirusrdc.info, wo der neueste Stand zeitnah berichtet wird. Dort findet man auch Verhaltensregeln und Regierungsverordnungen. Laut www.poitico.cd verfügt die DR Kongo derzeit über Material für 200.000 Tests. Allerdings liegt die tägliche Kapazität bei lediglich 50, nur durchführbar in Kinshasa – für ein Land mit 95 Millionen Einwohnern und einer Ausdehnung fast sieben Mal so groß wie Deutschland. Allein in Deutschland sind es aktuell 60.000 PCR-Tests täglich. Das sind 1.200 Mal so viele wie im Kongo. Mittelfristig wird in Deutschland über 200.000 Tests pro Tag nachgedacht. So viele Tests sind aktuell der komplette Vorrat des Kongo. Es ist also anzunehmen, dass aufgrund der Testkapazitäten vor Ort kein realistisches Bild der Lage im Kongo zu bekommen ist. Auffällig sind die durchsickernden Identitäten der Verstorbenen: Meist sind sie aus dem engeren Umfeld der Regierung, aus der Elite des Landes. Es fehlen mir generell die Nachrichten über „die kleinen Leute“. Im Moment habe ich den Eindruck, dass sich die Regierung vor allem mit sich selbst statt mit COVID19 beschäftigt, auch wenn es gute Initiativen gibt. Gestern lagen wir bei einer Sterblichkeitsrate von knapp unter 10 Prozent. Wenn man das mit anderen Ländern vergleicht, die intensiv testen, kann man wohl erahnen, dass wir in der Breite wohl ganz andere Infektionszahlen hätten, wenn es mehr Testkapazitäten gäbe.

 

Was geschieht zur Aufklärung der Bevölkerung?

Ganz interessant war die Idee der Regierung, einen Wettbewerb für die sozialen Medien auszurufen. Ambitionierte junge Menschen können sich melden und ihre Ideen vorschlagen, wie über diesen Kanal korrekte Informationen verbreitet werden können. Einer von zehn Menschen nutzt in der DR Kongo das Internet. Außerdem erreichen mich mehrmals täglich SMS-Nachrichten: Das Gesundheitsministerium schickt über jeden Mobilfunkanbieter Nachrichten mit kurzen Ratschlägen. In einem Land, wo Kommunikation hauptsächlich über Mobiltelefone passiert, ist dies sehr sinnvoll, denn jede zweite Person im Kongo hat laut wko.at Zugang zu Mobilfunk.

Im Staatsfernsehen und -radio werden täglich Informationen verbreitet. Aber auch hier ist immer etwas Vorsicht geboten: COVID19 kann auch zu politischen Zwecken genutzt werden. Da ist das Radio der Vereinten Nationen, Radio Okapi (auch im Internet unter www.radiookapi.net) ein guter, neutraler Informationskanal. Leider planen die Vereinten Nationen, sich aus diesem Bereich, wie überhaupt aus dem ganzen Land, mittelfristig zurückzuziehen.

Bei der breiten Bevölkerung ist viel Angst zu spüren. Es ist schwierig, ein solch komplexes Thema so zu vermitteln, dass es die Menschen auf der Faktenebene erreicht.

 

Gibt es schon Maßnahmen, die ergriffen werden?

Gerade die bisher ergriffenen Maßnahmen wären schon drastisch, wenn man tatsächlich von lediglich 100 Infektionen ausgehen würde: Der nationale Gesundheitsnotstand wurde ausgerufen, der dem Präsidenten weitreichende Rechte gibt. In Kinshasa sollte es eigentlich einen kompletten „Shut-Down“ geben. Doch kaum wurde das vom Präsidenten verkündet, lehnten sich andere Politiker dagegen auf. Bis heute – vier Tage nach dem angeblichen Beginn – hält sich kaum jemand daran. Es wird mehr darüber gestritten, wer welche Maßnahmen anordnen oder widerrufen kann, als dass über die Versorgungssituation der Bevölkerung zielführend nachgedacht würde. Die Menschen leben täglich von der Hand in den Mund. Das, was man tagsüber verdienen konnte, wird am Abend für den Einkauf von lebensnotwendigen Gütern für diesen einen Tag ausgegeben. Die finanziellen Mittel für eine Vorratshaltung gibt es nicht. Wenn man tagsüber nichts verdienen kann, hat man abends nichts zu Essen.

Auch der Flugverkehr im Passagiersektor – sowohl inländisch als auch international – wurde durch ein präsidentielles Dekret vollkommen eingestellt. Für morgen, 1. April, gibt es einen letzten Evakuierungsflug hier aus Lubumbashi für Europäer/innen, organisiert von der italienischen Botschaft.

Auf dem Landweg gibt es auch nur noch Warenverkehr. In die Provinz Kinshasa darf niemand ein- und ausreisen, andere Provinzen stellen auch inländisch Reisende aus anderen Regionen sofort 14 Tage unter Quarantäne. Der öffentliche Nahverkehr ist stark reduziert. Auf den Motorrädern darf nur noch ein/e Passagier/in mitgenommen werden, wo sonst zwei, drei oder sogar vier mitfahren. In Minibussen sind maximal 16 Personen erlaubt. Schulen und Universitäten sind genauso geschlossen wie Bars, Restaurants und Diskotheken. Auch Kirchen und Gottesdienste müssen pausieren. Zunächst gilt das alles für vier Wochen bis nach Ostern.

Der Gouverneur von Lubumbashi hat eine nächtliche Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr verhängt. Ansammlungen von mehr als 20 Personen sind untersagt. Für Beerdigungen gelten strenge Anordnungen. Was sonst mehrere Tage dauerte, geht nun binnen Stunden. Es scheint, als würde die Bevölkerung auf eine mögliche künftige Situation mit vielen täglichen Toten eingestellt.

Im Kleinen scheint es mir, als ob man an dem festhält, was man aus Ebolazeiten kennt (nebenbei: morgen kann offiziell der letzte Ebolausbruch mit mehr als 2.000 Toten in der DR Kongo für beendet erklärt werden!): vor allem Händewaschen! Eine Zeitung titelte letzte Woche: „In Afrika mit Händewaschen gegen Corona!“ Überall sieht man ein Gestell aus Rundstahl mit einem Eimer und Wasserhahn sowie Auffangschale und Seife. Das ist meiner Meinung nach Ausdruck der verzweifelten Bemühung, der Epidemie etwas entgegenzusetzen. Beim Eintritt in größere Läden, Apotheken, staatliche Einrichtungen, Gesundheitsstationen, an Verkehrsknotenpunkten und Supermärkten kommt noch eine Temperaturmessung hinzu. In Banken und bei Großapotheken herrscht Zugangsbeschränkung. Innen muss man zwei Meter Abstand halten, außen bilden sich lange Schlangen, dicht an dicht.

Auf Nieshygiene wird hingewiesen. Wer kann, kauft sich einen Mundschutz. Mein letzter Versuch, in einer Großapotheke einen Vorrat für die Versorgung unserer Epilepsiepatient/innen anzulegen, scheiterte: Der Mitarbeiter meinte, dass asiatisch aussehende Kunden gekommen wären und alles abgekauft hätten, um es wieder zurück nach China zu schicken. Ich sehe Menschen, die den selben Einmalmundschutz schon seit einer Woche tragen, ihn immer wieder auf und abziehen. Dass damit eine sehr hohe Eigengefährdung einhergeht, ist kaum jemandem bewusst. Der offizielle Rat ist, einen Mundschutz nur drei Stunden lang zu tragen, und dann einen neuen zu nehmen. Niemand denkt aber an diejenigen, die einen Schutz wirklich brauchen: Ärztinnen und Schwestern, Pfleger und Ärzte.

Wer kann, bleibt zuhause, um sich nicht anzustecken. Die Menschen haben Angst, bei all den Nachrichten, die sie aus Europa erreichen. Das scheint mit sich selbst beschäftigt zu sein. Die USA sind für mich ein Totalausfall. China sieht das ganze strategisch: Wo immer es eigenen Interessen hilft, gibt es Tonnen von Material. Auch die DR Kongo hat davon profitiert.

 

Wie bereitet sich das Gesundheitswesen vor?

Es entstehen erste Isolierstationen beziehungsweise Krankenhäuser, teilweise gibt es Aufrufe an die private Wirtschaft, in einen Solidarfonds einzuzahlen. Neben dem Flughafen von Lubumbashi sollen 100 Patient/innen untergebracht werden. Der Präsident hat zugesichert, dass der Staat die Kosten übernimmt für alle Patient/innen.

Der erste Verdachtsfall in Lubumbashi berichtete über seine Quarantäne: Er wurde vom Flughafen weg in eine 30 Kilometer entfernte Gesundheitsstation gebracht, wusste nicht wo er war, bekam kein Essen und Trinken, es fehlte jegliche Grundversorgung. Es bestand Kontaktverbot. Nach 48 Stunden lag das negative Ergebnis vor. Er wurde dann in ein Flugzeug gesetzt und dahin zurückgeschickt, wo er herkam. Solche Maßnahmen dürften wenig motivieren, sich mit Symptomen oder Verdacht auf eine Infektion mit dem Coronavirus in Behandlung zu begeben.

Eine Herausforderung dürfte es auch sein, das Personal dafür zu rekrutieren. Das hängt dann stark von den Bedingungen ab, vor allem davon, wie der Selbstschutz gesichert wird: einerseits vor Ansteckung mittels ausreichend Material und Wissen, andererseits vor gewalttätigen Übergriffen. Das, was wir aus den Ebolaregionen kennen, nämlich einen tödlichen Cocktail aus einer Infektionskrankheit und kriegerischen Auseinandersetzungen, kommt auch jetzt wieder hoch: Bei uns in Lubumbashi sind kleine Gruppen von Mai-Mai-Rebellen am Wochenende von zwei Seiten in die Stadt marschiert, um die Unabhängigkeit der Provinz Katanga vom Rest der DR Kongo zu erreichen. Zeitgleich kam es im 120 Kilometer entfernten Likasi, in dem Stadtgebiet, wo wir eine lutherische Gesundheitsstation aufbauen, sowie in Kakanda und Kasumbalesa zu ähnlichen Aktionen. Es gab wahrscheinlich 30 Tote und erheblich mehr verletzte Personen. In Kinshasa haben Anhänger eines Sektenchefs ebenfalls Unruhen provoziert. So wird diese Krise auch dafür genutzt, die politische Lage zu destabilisieren.

Das Gesundheitssystem ist seit jeher auf private und kirchliche Initiativen angewiesen. Action Medeor geht davon aus, dass der überwiegende Teil der Gesundheitsversorgung von nicht-staatlichen Einrichtungen übernommen wird. Allerdings ist der Staat bisher nicht bereit, in der Coronakrise private und kirchliche Akteur/innen konkret mit einzubeziehen.

Wie sind die Kliniken ausgestattet? – Intensivbetten gibt es in den Großstädten kaum, im Landesinneren ist die Lage noch schlechter. Das beste Krankenhaus in der Zehn-Millionen-Metropole Kinshasa hat mit 15 Betten die landesweit größte Kapazität auf diesem Sektor. Beatmungsplätze in Lubumbashi mit seinen fast drei Millionen Menschen sind an drei oder vier Händen abzuzählen. Selbst zu medizinischer Grundversorgung haben viele Menschen keinen Zugang. Die Infrastruktur ist oft generell in einem schlechten Zustand. Gerade in der jetzt zu Ende gehenden Regenzeit sind einige Regionen auf dem Landweg abgeschnitten.

Die staatlichen Gesundheitsausgaben liegen bei etwa 20 US Dollar pro Kopf und Jahr. Die Kindersterblichkeit ist hoch. Fehl- und Mangelernährung begegnen uns überall.

Das Krankenhauspersonal gibt oft an, sowohl schlecht ausgestattet als auch schlecht bezahlt zu sein, und möchte vor einer Behandlung für ihren Dienst eine – wie es hier heißt – „Motivation“ in Form von einigen Francs Congolais. Patient/innen berichten mir immer wieder, dass Medikamente erst bei externen Apotheken gekauft werden müssen, weil sie angeblich in der Krankenhausapotheke nicht vorrätig sind. Die Witwe eines verstorbenen Coronapatienten berichtete einem Journalisten, dass ihr Mann morgens hätte verlegt werden müssen in ein Krankenhaus mit Beatmungsplatz. Die eigens dafür eingerichtete staatliche Notfallnummer bestätigte, dass es dazu einen Krankenwagen vor Ort gäbe, der ihren Mann dorthin transportieren kann. Um 12 Uhr war ihr Mann, noch immer nicht verlegt, im Krankenhaus verstorben.

 

Wie bereiten Sie sich vor? – Hat sich die Alltagssituation für Sie/für die Bevölkerung

verändert und, wenn ja, wie?

Landwirtschaftsbetriebe kündigen Mitarbeitenden, weil ihnen Kundschaft fehlt – wie im Handels- und Dienstleistungssektor generell, hervorgerufen durch die landesweiten Ausgangsbeschränkungen.

Alle Gastronomieangestellten, Professor/innen, Lehrer/innen und Kinder, auch unsere, sind seit zwei Wochen zuhause. Wir haben noch das Glück einer Heimbeschulung mit Unterrichtsmaterial und Internetkursen, das haben 99,9 Prozent der Schüler/innen hier nicht. Am Tag vor dem Geburtstag unserer jüngsten Tochter wurde unsere Provinz unter eine 48-stündige komplette Ausgangssperre gesetzt, weil ein absolut unzuverlässiger Schnelltest, der auch vom Gesundheitsminister und der WHO nicht empfohlen ist, positiv bei einem Flugpassagier anschlug, alle anderen Passagiere aber schon den Flughafen verlassen hatten. Wer auf der Straße gesehen wurde, wurde von Polizei und Militär „gestellt“. Unser Nachtwächter hat daraufhin zwei Tage mit uns zusammen verbringen müssen und konnte nicht wie üblich tagsüber zu seiner Familie. Diese Situation hat nachhaltige Spuren auch in der ganzen Bevölkerung hinterlassen, die Bedrohung wurde real. Auch wenn bei keinem der Passagiere das neuartige Coronavirus durch das Labor in Kinshasa bestätigt wurde, sind nun viele Menschen sehr verängstigt. Allen wurde klar, wie wenig wir eigentlich in der Hand haben.

Und auch die Maßnahmen wie Isolation und Social Distancing sind absolut unrealistisch für Menschen, die von der Hand in die Mund leben und nur durch einen Großfamilienverbund überhaupt überleben können: Wo finde ich das Geld, um mein Abendessen – oft die einzige Mahlzeit am Tag – zu besorgen, wenn es nicht mal mehr Arbeit gibt? Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich mehr als verdoppelt, seit die Grenzen geschlossen wurden. Eine wirkliche Knappheit besteht nicht, da der Warenverkehr nicht voll betroffen ist. Aber unsolidarische Geschäftsleute stürzen ihre eigenen Landsleute in großes Leid.

Durch ausfallende Gottesdienste gibt es auch keine Kirchenkollekten – und damit sind auch Pfarrer und Evangelisten von Einkommenseinbußen betroffen und können kaum ihre Familien ernähren. Eine ausgefallene Geburtstagsfeier unserer Tochter dürfte – wenn sie auch etwas geknickt ist – da wohl das geringste Problem sein. Ein junger Mann aus meinem Umfeld beschrieb es so: „Corona, dazu noch keine Arbeit, kein Essen, keine Sicherheit. Es werden wohl viele leiden und sterben.“

 

Wie ist die Situation in Ihrem Arbeitsfeld?

Wir selbst können unsere Provinz nicht mehr verlassen, der Flugverkehr ist eingestellt und an den Provinzgrenzen kann es vorkommen, dass Quarantänemaßnahmen angeordnet werden. Wenn wir ausreisen würden, könnten wir aktuell auch nicht mehr einreisen, denn der Präsident hat faktisch ein Einreiseverbot für Deutsche verfügt. Wir haben uns aber bewusst dazu entschlossen, hier vor Ort zu bleiben. Einerseits geht es um das solidarische weltweite Miteinander der Kirchen. Andererseits gehören wir keiner Hochrisikogruppe an. Und unsere Kompetenzen könnten, sofern gewünscht, in den kommenden Wochen durchaus hilfreich sein.

Viele unserer Tätigkeiten wurden abgesagt oder verschoben: die Predigt in der Universitätsgemeinde, der Projektbesuch in den Frauen-Selbsthilfe-Gruppen oder die HIV/AIDS-Fortbildung für die Kirchenleitung im Missionsgebiet von Kisangani und anderes mehr. Manche Menschen sind damit vor Ort auf sich selbst gestellt, werden aber mit fast täglichen Telefonanrufen begleitet. Andererseits ist gerade im Bereich der Versorgung von Menschen mit Epilepsie unsere Präsenz hier wichtig. Trotz Einschränkung im öffentlichen Nahverkehr kommen noch an die 30 Patient/innen pro Woche zu uns. Es ist anzunehmen, dass sich die Zahl wieder nach oben korrigiert, 40 bis 50 Hilfesuchende sind eher die Regel. Wenn ihre Medikamente zur Neige gehen und die Krampfanfälle sich häufen, werden die Menschen Wege suchen, trotz der schwierigen Lage zu uns zu kommen. Der Eigenbeitrag der Patient/innen wird dann zwar gering ausfallen, weil einfach die finanziellen Mittel fehlen, aber wir werden diese Zeit, in der wir nicht wirtschaftlich arbeiten können, mit Gottes Hilfe meistern.

Herausfordernd ist eher die praktische Durchführbarkeit: Wenn jede/r Patient/in zwei Meter Abstand von allen anderen halten muss, brauchen wir eine Abtrennung zwischen den Patient/innen und eine riesige Fläche: Wo sich vorher auf Bänken im Wächterhaus und auf der Wiese unter Bäumen auf 20 Quadratmetern alle unterbringen ließen, brauchen wir nun ein Fläche von 60 bis 80 Quadratmetern plus separate Sitzgelegenheiten plus Überdachung. Corona kostet richtig viel Geld, wenn es nicht Leben kosten soll. Schutzmaterial gibt es zudem kaum oder zu horrenden Preisen. Während in Deutschland und anderen Staaten in Europa über das Tragen von Atemschutzmasken für alle gesprochen wird, obwohl die Weltgesundheitsorganisation den Nutzen im Generellen nicht sieht, haben wir hier das Nötigste nicht vor Ort, um medizinisches Personal zu schützen, auch für uns nicht.

Es wäre schön, wenn alle die Ressourcenverteilung weltweit im Blick hätten. Aber da ist die Coronakrise dann eben nur ein Abbild der ungerechten Verteilung von Gütern in der Welt. Ratschläge zum Selberbasteln von Atemschutzmasken aus Stoff, wie sie zur Zeit über das Internet auch aus Deutschland in die Partnerkirchen hinein kursieren, empfinde ich sehr zynisch in unserem Kontext.

 

Wie ist Ihre Einschätzung der Lage? – Wird es im Kongo gelingen, das Virus unter Kontrolle zu halten?

Das ist eine Frage für Wissenschaftler/innen, die dann Politiker/innen beraten, die wiederum Entscheidungen treffen müssen. Doch auf welcher Basis wird agiert? Geringe Testkapazitäten und kaum Behandlungsmöglichkeiten gepaart mit generellem Ressourcenmangel lassen wenig Spielraum.

Wenn ich mir die Alterspyramide ansehe, dann fällt mir auf, dass lediglich 3 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt ist. 46 Prozent der Bevölkerung ist unter 15 Jahren. 51 Prozent sind zwischen 15 und 64 Jahren alt. Wenn ich die bisherigen Erkenntnisse richtig einordnen kann, dann könnte es vor allem einen kleinen Anteil der Bevölkerung im höheren Alter besonders schlimm treffen. Die Auswirkungen auf HVI/AIDS-Patient/innen sind noch nicht genau erforscht. Sofern diese unter Therapie sind, könnten sie damit gut geschützt sein. Ohne HIV-Therapie, und das dürften hier etwa 50 Prozent der mit HIV Infizierten sein, ist wohl – je nach Immunstatus – eine erhöhte Sterblichkeitsrate zu erwarten. Der Einfluss von Malaria, Tuberkulose, Wurminfektionen, Masern, Mangelernährung und anderen hier grassierenden Krankheiten könnte eher nachteilig sein.

Wir können wenig an der Gesamtsituation ändern, doch wir können uns als Kirche für die einsetzen, die es am schlimmsten treffen wird. Heilung werden wir nicht geben können, das übersteigt die Kapazitäten. Außerdem reklamiert der Staat alle Kompetenz in diesem Bereich für sich. Aber die Wahrung der Würde des Menschen, auch am Lebensende, auch in Notzeiten, ist eine wichtige Aufgabe, die uns zu Teil wird. Wir wollen zunächst einmal in zwei unserer Gesundheitseinrichtungen, in Kimbeimbe bei Lubumbashi und Likasi, die normale Grundversorgung verbessern und eine Art „Nothospiz“ mit Pfarrern und Freiwilligen aufbauen und bereithalten, um gegebenenfalls der älteren Generation und den geschwächten Menschen und ihren Familien den nötigen Respekt gegenüber ihrem Leben, auf den sie Anspruch haben, zukommen zu lassen. Wenn wir diese Notversorgung nicht brauchen, wäre es schön. Doch einfach die Augen zu verschließen vor der Realität, wie sie in anderen Ländern schon existiert(e), wäre wohl fahrlässig. Die Kirchenleitung sieht die Notwendigkeit zum Handeln. Wie wir die konkrete Umsetzung realisieren können, wissen wir im Detail noch nicht, aber es sollte angegangen werden. Und wenn es dann Behandlung und Impfung gibt, wollen wir gemeinsam wieder verstärkt nach vorne sehen.

 

Markus Schmidt arbeitet zusammen mit seiner Frau Sibylle im Sozial- und Gesundheitswesen in der DR Kongo. Wichtige Tätigkeitsfelder sind die HIV/AIDS-Aufklärung und -prävention sowie die Versorgung und Behandlung von Epilepsiepatient/innen. Sibylle und Markus Schmidt wurden von Mission EineWelt ausgesendet.

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