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Unter Beschuss im Roten Meer – Wie Schiffsbesatzungen mit den Angriffen der Huthi umgehen

Interview mit Andreas Latz, Seemannspastor in Singapur

 

Im sicheren Hafen: die Al Jasrah in Pasir Panjang, dem größten Containerhafen Singapurs (Foto: Andreas Latz)

Im sicheren Hafen: die Al Jasrah in Pasir Panjang, dem größten Containerhafen Singapurs (Foto: Andreas Latz)

Der Krieg in Gaza macht auch die vielbefahrene Schifffahrtsroute durchs Rote Meer unsicher. Die Huthis, die einen Teil des Jemen kontrollieren, haben sich mit den Palästinenser*innen solidarisiert und greifen vermehrt Handelsschiffe an. Die Schiffsbesatzungen müssen um ihr Leben fürchten. Wie sich das auf die Crew-Mitglieder auswirkt, hat kurz vor Jahreswechsel Andreas Latz erfahren. Der von Mission EineWelt ausgesendete Pfarrer arbeitet als Seemannspastor in Singapur. Im Interview erzählt er von seinen Eindrücken an Bord des unter liberianischer Flagge fahrenden Containerschiffs Al Jasrah der deutschen Reederei Hapag Loyd. Das 368 Meter lange und 51 Meter breite Schiff mit einer Ladekapazität von 15.000 Containern wurde Mitte Dezember 2023 von den Huthi mit Raketen beschossen und entkam mit knapper Not.

 

Wie wichtig ist das Rote Meer als Schifffahrtsstraße. Wie hoch ist in Friedenszeiten das Verkehrsaufkommen?

Das Rote Meer wird nördlich vom Suezkanal befahren und südlich vom Golf von Aden, im Jahr 2022 haben fast 24.000 Schiffe den Kanal durchquert, das sind 65 Schiffe pro Tag, Containerschiffe und Autofrachter, Stückgut- und Massengut Transporter, Spezialschiffe.

 

Wie erfährt die Seemannsmission, wenn – wie im Fall der Al Jasrah – ein beschossenes Schiff einläuft?

Es ist weltweit Standard, die Seemannsmissionen zu informieren. In einem Krisenfall wird sofort die örtliche Stationsleitung kontaktiert und ein Besuch mit dem Agenten vor Ort oder mit dem Kapitän vereinbart. So war es auch bei der beschossenen Al Jasrah.

 

Was haben Dir die Crew-Mitglieder über den Beschuss und ihre Reaktion darauf berichtet?

Grundsätzlich sind Krisen an Bord, die den geregelten strukturierten Arbeitsalltag durcheinander bringen, immer eine Belastung für alle. Im Fall der von einer Rakete getroffenen Al Jasrah war der junge polnische Kapitän unglaublich stolz auf seine Mannschaft, weil alle vorbildlich die vorbereiteten Notfallprogramme abgearbeitet haben. So konnte das Feuer einiger in Flammen stehender Container unverzüglich gelöscht und ein Bruch der Schiffshülle vermieden werden. Das gab der Schiffsleitung die Chance, mit einer Höchstgeschwindigkeit von 17 Knoten das Rote Meer in Richtung Süden zu verlassen. Dramatisch, das war den Augenzeugenberichten abzuspüren, war die Vorüberfahrt an der weitaus kleineren MSC Palatium III, die von drei Raketen getroffen worden war und in Flammen stand. Normalerweise ist auf hoher See die Seenotrettung ein unumstößliches, nicht zu hinterfragendes Gesetz. In diesem Fall bedeutete es auf der Al Jasrah abzuwägen, die Volllastfahrt zu stoppen, sich erneut in Gefahr zu bringen, um der MSC Palatium III Seenothilfe anzubieten, oder zügig weiterzufahren, um die eigene Besatzung und das eigene Schiff zu retten. Amerikanische Marineboote waren aber wohl schon nahe, um Rettung und Schutz zu gewährleisten. All dies ist am 15. Dezember 2023 passiert. Am 28. Dezember konnte ich das riesige Containerschiff in Pasir Panjang, dem größten Containerhafen Singapurs, besuchen. Noch immer standen einige unter dem Schock der vergangenen Ereignisse. Als die Al Jasrah sichere Gewässer erreichen konnte, stellte sich mit einer Verzögerung von etwa zwei Tagen angesichts der Erlebnisse ein kollektiver Schock ein, so dass an Bord nur sehr leichte Arbeiten verrichtet werden konnten, auch um das Risiko von Arbeitsunfällen zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund war das Weihnachtsfest sehr willkommen, das mit viel Ruhe und einer Feier mit Festmahl an Bord begangen wurde.

 

Was tut die Seemannsmission für solche Besatzungen?

Das Besuchs- und Gesprächsangebot ist unglaublich wichtig. Der Watchman begrüßte mich schon mit Namen, ich wurde schriftlich angekündigt und erwartet, und nur ich hatte in diesem Fall eine Besuchserlaubnis. Eine Kindergottesdienstgruppe einer lutherischen Gemeinde in Singapur hatte Grußkarten geschrieben und kleine Präsente liebevoll vorbereitet, das erleichterte den Zugang zu Gespräch und Austausch mit der zum großen Teil philippinischen Crew. Viele meiner Kolleg*innen haben eine PSNV-Ausbildung absolviert, Psychosoziale Notfallversorgung, ich auch. Das ist sehr hilfreich.

 

Was haben die Seeleute in den persönlichen Gesprächen geschildert? – Was geht ihnen angesichts des Erlebten durch den Kopf?

Die größte Sorge der Seefahrenden war, ihre Familie nicht mehr wiedersehen zu können. Diese Angst, zeitverzögert eingetreten, war immens.

 

Gibt es für Reedereien, die Möglichkeit, ihre Schiffe umzuleiten? Nutzen sie diese Möglichkeit?

In der Tat gibt es Möglichkeiten, ganz einfach, indem man der momentanen Gefahr und Bedrohung im Roten Meer durch die lange Route ums Kap der guten Hoffnung ausweicht.

 

Welche Möglichkeiten hat die Seemannsmission, als Fürsprecherin der Seeleute Reedereien dahingehend zu beeinflussen, dass sie ihre Schiffe umleiten, so lange die Gefahrensituation besteht?

Natürlich sind die Seemannsmissionen in einem dichten Netzwerk in der maritimen Welt eingebunden, das ist ähnlich in allen Häfen der Welt. Im konkreten Fall war es so, dass der Kapitän seine große Sorge mit mir teilte, dass er auf dem Rückweg nach Europa wohl wieder das Rote Meer durchqueren müsse, weil die große Containerlinie Maersk für ihre Schiffe kurz zuvor angekündigt hatte, diese Route wieder zu nutzen und Hapag Lloyd sich dem anschloss. Ich bedankte mich bei dem Kapitän via Mail am Abend sehr herzlich für die Besuchs- und Gesprächsmöglichkeiten und schrieb: „Wenn ich einen Wunsch frei hätte und es ihnen möglich ist, nehmen sie bitte die lange Route übers Kap der guten Hoffnung, ihre Crew wird es ihnen nicht genug danken können.“ Nur wenige Minuten später bekam ich vom CEO der Reederei aus Hamburg eine Mail. Er schrieb, er könne garantieren, dass Hapag Loyd-Schiffe vorerst nicht mehr die Durchfahrt durchs Rote Meer nutzen.