Julia Ratzmann
Am 25. Juni, dem Tag der Seefahrer, wird seit einer internationalen Kirchenkonferenz der ICMA (International Christian Maritime Association) 2018 in Taiwan auch der Fischer und ihrer harten Arbeit auf hoher See gedacht. Für Fischer und Matrosen ist dies wie ein zweites Weihnachten. Sie werden durch Geschenke wertgeschätzt.
Im lutherischen Begegnungszentrum im Fischereihafen von Singapur fluten seit vier Wochen die Crews der Fischer durch die Türen und erhalten im geldlosen Haus Tee, stärkende Nudelsuppen, Wasser und Biskuits. Darüber hinaus wird ihr riesiges Bedürfnis nach Kleidung gedeckt, zeitweise verändert sich das Center in einen Second-Hand-Shop für Bekleidung.
Junge Männer aus den Philippinen und Indonesien stöbern fröhlich durch die Kleiderberge und gehen mit gut erhaltenen T-Shirts, Hosen und Hemden zurück auf ihr Schiff. Die Gemeinden der Lutherischen Kirche von Singapur stehen treu an der Seite der ILSM, der International Lutheran Seafarers Mission of Singapore, und versorgen die Fischer unaufhörlich mit Altkleiderspenden.
Erst seit vier Wochen dürfen die Fischer von Bord und ins 15 Meter gegenüberliegende Begegnungszentrum kommen. Der Schock der Eigner, Kapitäne und Hafenautoritäten war seinerzeit groß, als schon verkaufter und gehandelter Fisch wegen der Covid19-Pandemie aus den Gefriertruhen der Supermärkte polizeilich ermittelt und der komplette Hafen einschließlich Fischverkauf für vier Wochen stillgelegt wurde. Viel länger als die Seeleute in der Handelsschifffahrt waren die Fischer gezwungen, im Hafen auf ihren kleinen Booten ohne Ausgangserlaubnis auszuharren. Bis dahin wurden sie von den Mitarbeitenden der Seemannsmissionüber die Relings der Schiffe hinweg mit dem Nötigsten versorgt.
Am 12. Juni hielt Seemannspastor Andreas Latz in der lutherischen Gemeinde zu Jurong eine Predigt, in der er auch über die Arbeit mit den Fischern sprach. Im Anschluss an diesen Gottesdienst bildete sich spontan eine Gruppe von 17 Freiwilligen, die unbedingt mithelfen wollten. Die Hafenautoritäten gewährten auf schriftlichen Antrag hin in kürzester Zeit Einlass, zwei Tage vorher trafen sich Vorstandsmitglieder, um den Raum festlich zu gestalten und zu schmücken. Eine Sponsorenfamilie fand sich, die die gastronomische Versorgung mit allen Formen gegrillten und gebratenen Huhns übernahm.
Per Plakat und persönlicher Einladung wurde schon vorher zum Tag der Seefahrenden und Fischer eingeladen.
Am Nachmittag des 25. Juni dann ein ungewöhnliches Bild: Sieben Boote lagen fest miteinander verzurrt im Hafen, vor dem Zentrum wartete bereits eine große Anzahl Fischer.
Die Helfergruppe traf nach intensivem Security-Check ein. Schnell wurde beraten, wie die etwa 90 Fischer – 45 waren erwartet worden – versorgt werden konnten. So war es gut, dass die Andacht der Speisung der 5000 gewidmet war. Das Freiwilligenteam agierte in traumwandlerischer Sicherheit: Die Aufgaben wurden verteilt und in Gruppen zu je 30 wurden die Fischer hereingebeten
Mit einem Tischgebet der zumeist philippinischen Fischer in Tagalog begann das trubelige Miteinander, die Freiwilligen setzten sich hinzu. Die Fischer erzählten. Ein Smartphone-Kurzfilm zeigte, wie die Fischer an Bord mit einem Seil gesichert, der über die Reling hereinbrechenden tosenden See widerstanden. Viel Stolz spiegelte sich in den Augen der Fischer wider, dass sie „auserwählt“ sind, diese harte und gefährliche Arbeit zu verrichten.
Nach 45 Minuten wurde jede Gruppe mit einem neuen T-Shirt und einem frisch gedruckten Andachtsbuch in Tagalog verabschiedet.
Drei Mal wiederholte sich diese Prozession. Und am Ende sind wohl mehr als 90 Fischer satt geworden. Nur einer saß mitten in der Runde traurig am Tisch. Der Koch eines der Fischerboote, der sagte, das Abendessen sei vorbereitet und es gäbe gleich Hühnchen.
Der Tag der Seefahrenden und Fischer soll den fordernden Arbeitsalltag unterbrechen und statt genommen soll gegeben werden. Für einige Fischer im Begegnungszentrum war es sichtlich das erste Mal, dass sie am Tisch bedient und als wichtig und bedeutend erachtet wurden. Berührt und dankbar verabschiedeten sie sich schließlich.
Ein Fischer brachte sich zum Abschied erneut „mahnend“ in Erinnerung für einen gut erhaltenen Koffer, weil er bald nach zweijähriger Arbeit an Bord zu seiner Familie heimkehren könne. Nach getaner Aufgabe, ausgesprochen erfüllt, fuhr Seemannspastor Andreas Latz am Abend nach Hause und fand neben den Mülltonnen in seinem Wohnkomplex einen intakten großen Hartschalenkoffer.
Andreas Latz, Seemannspastor in Singapur
Migration gibt es schon lange, eigentlich schon seit Menschengedenken. Aber zumindest heutzutage ist sie ein Aufreger-Thema, nicht selten verklebt mit Vorbehalten und Ängsten. Diese negative Sicht ist
möglicherweise auch einer verengten zeitlichen Perspektive geschuldet. Das ist eine Erkenntnis, die in der Ausstellung „Evangelische Migrationsgeschichte(n)“ transportiert wird, die am 6. Juni im Nürnberger Fembohaus mit vielen, auch prominenten, Gästen eröffnet wurde. Sie zeigt die Migrationsgeschichten von 22 evangelischen Menschen aus den vergangenen fünf Jahrhunderten und repräsentiert eine Art Quintessenz der Kooperation von 12 Bildungsinstitutionen und Museen in Europa und den USA, die jeweils auch eigene Ausstellungen zum Thema anbieten. Teil dieser Zusammenarbeit ist auch die Ausstellung „Mission und Migration im 21. Jahrhundert“ des Teams der Ausstellung einBlick von Mission EineWelt.
Aus den gezeigten Migrationsgeschichten wird – wie aus vielen anderen auch – deutlich: Spätestens jenseits allzu kurzfristiger Betrachtung hat sich Migration als wunderbare Chance für alle Beteiligten erwiesen. Evelyn Reitz, Leiterin der Abteilung Kulturhistorische Museen der Museen der Stadt Nürnberg präsentierte in ihrer Eröffnungsrede gleich ein Beispiel: Erbauer des Fembohauses war ein Migrant. Der protestantische Tuchhändler Philipp van Oyrl flüchtete 1585 aus seine Heimatstadt Antwerpen, nachdem diese von katholischen spanischen Truppen erobert worden war, nach Nürnberg.
Auch die Nürnberger Bürgermeisterin Julia Lehner (CSU) betonte: „Wir vergessen allzu oft, dass Migration vor allem auch eine Chance ist.“ Bei allen Schwierigkeiten biete Migration unter anderem die Möglichkeit zur Horizonterweiterung, zum Einblick in andere Lebensformen und dazu, „gemeinsam Neues zu schöpfen“. Lehner erinnerte auch an den Kirchentag in Nürnberg von 1979. „Dort“, sagte sie, „habe ich eine Willkommenskultur erlebt, die für mich Maßstab geworden ist: Jede, jeder soll sich willkommen fühlen.“
Thomas Greif, Leiter des Museums und Archivs der Rummelsberger Diakonie und federführend in der Kooperation, bezog sich zusammenfassend auf einen Gedanken des Schirmherrn der Ausstellung, Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Demnach, so Greif, zeige das Ausstellungsprojekt, dass „Migration kein Phänomen unserer Zeit“ sei, sondern „zeitlos unser Menschsein“ präge. Für Greif persönlich sind Migration und Weltoffenheit nicht nur eine Chance, sondern auch ein Pfand auf eine gute Zukunft: „Wenn wir nicht untergehen wollen in dieser verrückten Welt, müssen wir Europäer zusammen nach vorne schauen und nicht den Populisten zurück in die Sackgasse der Nationalstaaten folgen.“
In Zeiten, in denen Europa sich anschickt, sich mehr und mehr nach außen abzuschotten und auf Abschreckung von Migrant*innen zu setzen, sind die Evangelischen Migrationsgeschichten ein wichtiges Signal – dafür, dass wir mit Abschottung gegen Menschen aus anderen Ländern eine wichtige Chance verpassen. Zu unseren eigenen Lasten.
Mehr Infos zur Ausstellungskooperation: https://evangelische-migrationsgeschichten.com
Jede Menge Potenzial – leider ungenutzt. Was sich liest wie die inzwischen zum Klischee verstaubte Werbung einer obskuren Sekte oder die zerknirscht-beflissene Einstiegsbeichte eines Workshops für sensoren-behangene Selbstoptimierer*innen, ist in diesem Fall die plakative Zusammenfassung einer nüchternen Bestandsaufnahme zur Entwicklung eines Landes. Es geht um Papua-Neuguinea, und die Bestandsaufnahme kommt von Bonnie Keoka, Leiter des Lutheran Development Service (LDS) der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Papua-Neuguinea (ELC-PNG). Keoka arbeitet seit 1996 beim LDS, seit 2012 ist er Chef der Abteilung, die zu den Sozialen Diensten der ELC-PNG gehört. Er weiß also, wovon er spricht. Am Abend des 5. Juni kommen etwa 50 Menschen zu Mission EineWelt in den Otto-Kuhr-Saal. Viele haben in Papua-Neuguinea gearbeitet und sind dem Land, der ELC-PNG und vor allem den Menschen dort tief verbunden. Vieles von dem, was Keoka sagt, ist ihnen nicht neu.
Der graduierte Tropenlandwirt spricht von der riesigen Bio-Diversität in seinem Land, von üppigen Regenwäldern, von reichlich vorhandenem Wasser, vom Potenzial des Sonnenlichts. „Wir besitzen genügend Naturressourcen, um uns zu helfen, aber wir sind nach wie vor ein Entwicklungsland“, fasst er zusammen. Es ist ein Widerspruch in Gestalt nach wie vor ungelöster grundlegender Probleme. Keoka zählt sie auf, eines nach dem anderen: zu wenig Verkehrsverbindungen, keine flächendeckende Wasserversorgung, schlechte Energieversorgung, lückenhafte und unzuverlässige Telekommunikation, kaum Zugang zu Bildung und Wissen, schlechte Gesundheitsversorgung. Kurzum: fehlende oder mangelhafte Infrastruktur in vielen grundlegenden Bereichen. Dazu, so Keoka weiter, kämen Probleme wie Covid 19, Aids und der Klimawandel, der für viele Menschen in Papua-Neuguinea, insbesondere auf den kleinen Inseln vor dem Festland, längst existenzbedrohend ist.
Das alles führt, so erklärt es der kirchliche Berater, zu einem steilen Stadt-Land-Gefälle. In der Stadt gibt es vieles, auf dem Land mangelt es an fast allem. „Die ländliche Bevölkerung ist marginalisiert“, fasst Keoka zusammen. Bei einem Anteil der Landbevölkerung von etwa 80 Prozent an der Gesamteinwohner*innenzahl heißt das: Die überwiegende Mehrheit der Menschen in Papua-Neuguinea ist, wie man es hierzulande formulieren würde, „abgehängt“. Dazu komme noch, dass staatliche Fördergelder für ländliche Regionen, nicht oder nicht in voller Höhe bei den eigentlichen Adressat*innen landen. Das, so Keoka, stärke nicht unbedingt das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und seine Initiativen.
„Vertrauen“ ist ab diesem Punkt eines der am häufigsten fallenden Wörter des Abends. Damit der Staat das bekomme, seien Transparenz und Good Governance erforderlich. Aber eben auch das Vertrauen der Menschen untereinander, erklärt Bonnie Keoka. Und vielleicht auch Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten? – Jedenfalls ist es einer der Punkte, an denen die Arbeit des LDS mit der Landbevölkerung ansetzt. Das Vertrauen innerhalb familiärer und verwandtschaftlicher Bezüge sei die grundlegende Basis für mehr, meint Keoka. Und das entstehe vor allem durch Teilhabe. Der LDS will, dass Menschen in ländlichen Gebieten über ihre Rechte Bescheid wissen und diese wahrnehmen können. Ein anderes großes Ziel ist der Zugang zu Bildung und Technologie. Zuvorderst geht es um Anbaumethoden und Wasserversorgung. Daraus ergeben sich wie von selbst die Basis-Strategien des LDS-Entwicklungsprogramms: Fußend auf verbesserten Anbaumethoden, sollen Vorratshaltung und die Erwirtschaftung von Gewinnen aus dem Verkauf sogenannter „Cash Crops“ wie beispielsweise Kaffeebohnen erlernt und gefördert werden. Zudem geht es um den Aufbau von gemeinschaftlicher Wasserversorgung mit Speicherkapazitäten und mit Solarenergie-gespeisten Pumpen. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Verbesserung des Zugangs zu Bildung und Gesundheitsversorgung.
Das klingt einleuchtend. Eine große Herausforderung, daraus macht Bonnie Keoka keinen Hehl, liegt weiterhin in der wirksamen Umsetzung der Strategien. Es brauche, betont er nochmals, Vertrauen. Der ebenfalls anwesende Referent für Ökumene und Kirchenpartnerschaften der ELC-PNG, Kinim Siloi, ergänzt: „Die Menschen müssen sich Dinge zu eigen machen, damit sie funktionieren.“
Es scheint, in Papua-Neuguinea seien Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen das Gebot von weit mehr als der sprichwörtlichen Stunde.
Bonnie Keoka ist im Rahmen des Evangelischen Kirchentags zu Gast bei Mission EineWelt und kann von 24.Juni bis 2. Juli 2023 von bayerischen Kirchengemeinden für Vorträge und Diskussionen eingeladen werden.
Weitere Infos: https://mission-einewelt.de/events/unser-gast-bonnie-keoka-aus-papua-neuguinea/
„Feminismus in Ostasien“ war am Wochenende bei der Tagung der Deutschen Ostasienmission (DOAM) in den Räumen von Mission EineWelt angesagt: Interessierte und vier Rednerinnen aus Hong Kong, Taiwan, Japan und Südkorea gaben einen vielseitigen Einblick.
Das Thema „Feminismus“ ist hochaktuell und zum Teil politisch brisant, beispielsweise in Südkorea aufgrund einer Regierung, die frauenfeindliche Ressentiments in politischen Kampagnen gezielt eingesetzt hatte, um Wählerstimmen zu gewinnen. Lernen ließ sich auch: Spiritualität war etwa in Hongkong ein wichtiger Motor überzeugten Handelns, wenngleich die oft konservative Rolle von Kirchen beispielsweise in Taiwan ins Auge fällt. Der Fall Japan bot Anlass über die Rolle von Kirchen als Plattform für Gerechtigkeitsthemen aus Frauenperspektive nachzudenken.
Themen wie Intersektionalität, Solidarität und Vulnerabilität zogen sich durch die gesamte Veranstaltung, die selbst ein „safe space“ bot, um miteinander ins Gespräch zu kommen.
So wurde es möglich, das eigene Verständnis von Feminismus zu vertiefen und zu hinterfragen, vor allem aber eine Gemeinschaft zu leben, in der nicht das „stärker“ oder „schwächer“ sein im Vordergrund steht, sondern das Miteinander.
Schulamit Kriener
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