Dr. Wolfgang Grieninger mit seiner Frau Judith und Bischof Thomas Low aus Malaysia

Dr. Wolfgang Grieninger mit seiner Frau Judith und Bischof Thomas Low aus Malaysia

Nach über 22 Jahren Mitarbeit in Südostasien wurde jetzt der bayerische Pfarrer Dr. Wolfgang Grieninger pensioniert. Der 66-Jährige hat mit seiner Frau Judith und den vier gemeinsamen Kindern im Auftrag von Mission EineWelt u.a. in Papua-Neuguinea und in Malaysia gearbeitet, zuletzt als Dozent am Theologischen Seminar Malaysia (STM) in Seremban. Hier beschäftigte er sich vor allem mit der Frage nach der „typisch lutherischen“ Identität und entwickelte eine Art „Aktionsplan des Luthertums“ für malaysische Pfarrer*innen. Grieninger  schrieb dafür eigens einen „Ordinationskurs“ für die zukünftigen Pfarrerinnen und Pfarrer der Lutherischen Kirche von Malaysia. Mit diesem Kurs, der inzwischen ins Chinesische, Englische, Birmanische und das malaysische Bahasa übersetzt wurde, konnten sich die Theologie-Studierenden auf ihr geistliches Amt in der Kirche vorbereiten.

Die Lutherische Kirche von Malaysia hat nur rund 7.000 Mitglieder und ist damit eine absolute Minderheitenkirche. Im südostasiatischen Malaysia mit seinen rund 34 Millionen Einwohner*innen ist der Islam die offizielle Staatsreligion, andere Religionen werden mehr oder minder geduldet. Innerhalb der kleinen Lutherischen Kirche gibt es viele Mitglieder mit chinesischem Hintergrund. Diese „Community“ bildet wiederum eine eigene Minderheit innerhalb der Kirche. Diese Situation fand Grieninger so spannend, das er daraus das Thema seiner Doktorarbeit entwickelte. Seine Promotion mit dem Titel „The Question of Identity – Chinese Lutheran Christians in West Malaysia“ erschien im vergangenen Jahr im Erlanger Verlag. Hier ging er der Frage nach, wie chinesische lutherische Christ*innen in Malaysia ihre Identität als Lutheraner im islamischen Kontext behaupten können.

An der Verabschiedung des Ehepaars Grieniger konnte zufällig auch Bischof Thomas Low aus Malaysia teilnehmen, der derzeit mit einer Gruppe von Studierenden und Dozent*innen des STM in Neuendettelsau zu Besuch ist. Nach der offiziellen Verabschiedung mit Übergabe der Pensionsurkunde durch Mission EineWelt-Direktor Hanns Hoerschelmann überraschte Bischof Low die Gäste bei der Verabschiedung mit launigen Worten. Man habe es erfolgreich geschafft, Wolfgang Grieninger „umzuerziehen“- jetzt käme er sogar manchmal unpünktlich zu Sitzungen der Kirchenleitung. Auf die Frage, was Wolfgang Grieninger für die Zeit des Ruhestands plane, sagte er trocken: „Meinen Ordinationskurs ins Deutsche übersetzen“.

 

 

Dr. Emmanuel Kileo ist am Fuße des Kilimandscharo im afrikanischen Tansania aufgewachsen. Nach seinem Theologie-Studium ging er zunächst seiner Berufung als Pastor der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania nach – bis ihm ein überraschender Anruf aus Bayern den Weg ins Allgäu ebnete. Hier war Kileo von 2007 bis 2014 als ökumenischer Mitarbeitender im Auftrag von Mission EineWelt in einer Kirchengemeinde tätig. Neben seiner engagierten Arbeit mit den Gemeindemitgliedern – die ihm im Übrigen einen charmanten Allgäuer-Dialekt bescherte – hatte Kileo sogar noch Zeit für akademische Studien. Herausgekommen ist seine vielbeachtete Promotionsarbeit „Weiß-Sein als ideologisches Konstrukt in den Süd-Nord-Partnerschaften“, die im Erlanger Verlag erschienen ist.

Dr. Emmauel Kileo

Dr. Emmanuel Kileo

Nach Beendigung seines Dienstverhältnisses mit der bayerischen Landeskirche kehrte Kileo nach Tansania zurück, wo er für das Stefano Moshi Memorial University College in Tansania tätig war, unter anderem als stellvertretender Präsident in der Verwaltung und für akademische Angelegenheiten. Zu seinen Aufgaben gehörten Management, Führung und Teamarbeit sowie die Entwicklung neuer Universitäts-Lehrpläne, die auf die Anforderungen einer internationalen Gemeinschaft in der Partnerschaftsarbeit eingehen. Hier konnte er auf seine deutschen Erfahrungen mit Partnerschaftsarbeit zurückgreifen „Diese acht Jahre in der deutschen Gesellschaft haben mich mit verschiedenen Gesichtern der Süd-Nord-Partnerschaftsarbeit bekannt gemacht. Ich habe erlebt, wie wichtig Partnerschaften sind, um unsere Fragen des Glaubens und der Entwicklung gemeinsam anzugehen“, so der 48-Jährige, dem Kolleginnen und Kollegen eine profunde interreligiöse Kompetenz bescheinigen.

"Grüß Gott aus Afrika!" - Dr. Emmanuel Kileo | Erlanger Verlag

„Grüß Gott aus Afrika!“ – Dr. Emmanuel Kileo | Erlanger Verlag

Dass der Tansanier Kileo in seiner „bayerischen“ Zeit auch manch Lustiges erlebt hat und seine Fettnäpfchen mit einem Augenzwinkern reflektiert hat, beweist sein Buch „Grüß Gott aus Afrika- Deutsche Mentalität aus Sicht eines tansanischen Missionars“, ebenfalls erschienen im Erlanger Verlag.

Welche Vorstellung er als Tansanier von Deutschland hatte, was es mit der vermeintlichen Stadt namens „Ausfahrt“ auf sich hat und wann ihm klar wurde, dass er Pfarrer und nicht Arzt werden wollte, das erzählt er Pfarrer Dr. Sung Kim von Mission EineWelt in einer neuen Folge des Podcast „Horizontwechsel“. Zur Sprache kommt auch Kileos neuer „Job“ in Deutschland, denn am 22. Juni wird er als Direktor des Ev.-luth. Missionswerks in Niedersachsen (ELM) eingeführt. Erstmals übernimmt mit ihm ein Kandidat aus einem außereuropäischen Land dieses Leitungsamt beim ELM in Hermannsburg.

Julia Ratzmann

Die theologische Ausbildungsstätte Faculdades EST mit Sitz in São Leopoldo (Vale dos Sinos, Brasilien) hat das Projekt “Escuta Solidária” (deutsch: „Solidarisches Zuhören“) gestartet. Die Initiative zielt darauf ab, die von den Überschwemmungen betroffenen Menschen in ihren unterschiedlichsten psychologischen und emotionalen Bedürfnissen aufzunehmen und ihnen zuzuhören.

Südbrasilien erlebt derzeit die wohl schlimmste Hochwasserkatastrophe seit Jahrzehnten. Nach Angaben des brasilianischen Zivilschutzes sind etwa 94 Prozent der 497 Verwaltungsbezirke des Bundesstaates Rio Grande do Sul von den Überschwemmungen und Erdrutschen betroffen. Die heftigen Regenfälle, die zu den Überschwemmungen führten, sind laut einer am 10. Mai veröffentlichten Einschätzung von ClimaMeter, einem wissenschaftlichen Klimamodellierungsteam der Universität Paris-Saclay (Frankreich), größtenteils auf den vom Menschen verursachten Klimawandel zurückzuführen. Die Überschwemmungen im April und Mai waren die vierten innerhalb eines Jahres in Rio Grande do Sul, nach den Überschwemmungen im Juli, September und November 2023, bei denen insgesamt 75 Menschen ums Leben kamen.

Mehr als 2 Millionen Menschen leiden derzeit unter den nicht enden wollenden Regenfällen. Rund 640.000 Einwohner*innen wurden vertrieben, mehr als 69.000 in Notunterkünften untergebracht. Die Regenfälle haben bisher mindestens 163 Menschenleben gekostet, und weitere 72 werden noch vermisst.

Die finanziellen Verluste belaufen sich bereits jetzt auf 10 Milliarden Reais, erklärte der Nationale Verband der Gemeinden Anfang Mai. Nach einer Schätzung des Industrieverbands des Bundesstaates Rio Grande do Sul sind etwa 94 % der Wirtschaftstätigkeit des Bundesstaates in irgendeiner Weise beeinträchtigt worden. Zu den Verlusten von Hab und Gut kommen die psychischen Schäden für die betroffenen Familien. Hier setzt die Faculdades EST mit ihrem neuen Programm an.

Die Initiative „Solidarisches Zuhören“ wird von den Professoren Nilton Eliseu Herbes, Charles Klemz und Júlio Cézar Adam koordiniert und umfasst ein Projektteam von Freiwilligen, das sich aus Lehrenden, Postgraduierten und Theologiestudierenden zusammensetzt. Auch ausgebildete Psycholog*innen haben Hilfe und Unterstützung zugesagt. „In Zeiten der Krise sind Solidarität und gegenseitige Unterstützung von großer Bedeutung. Das Projekt “Escuta Solidária” ist eine wichtige Maßnahme, die denjenigen, die sie am meisten brauchen, psychologische und emotionale Unterstützung anbietet“, betonte der Rektor der Faculdades EST, Dr. Valério Guilherme Schaper. Den traumatisierten Flutopfern solle ein niedrigschwelliges Gesprächsangebot gemacht werden, bei dem sich die Menschen ihr Leid und ihre Trauer von der Seele reden könnten, hieß es aus den Kreisen des Teams.

Das Gesprächsangebot des EST-Teams ist kostenlos, die Beratungen werden vor Ort, telefonisch oder auch online durchgeführt, hierzu reicht eine Anmeldung über die Homepage https://est.edu.br/escuta/.

Die Faculdades EST ist die älteste theologische Ausbildungsstätte der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (EKLBB), der Partnerkirche der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB). Sie wurde 1946 in São Leopoldo gegründet. Aktuell bietet die EST außer Theologie noch Musikpädagogik, Musiktherapie und Krankenpflege an, im Fernstudium auch Religionswissenschaft. Die Fakultät ist eine Privatinstitut. Die Ausbildung ist jedoch staatlich akkreditiert. Alle Kurse sind kostenpflichtig.

Zwischen Faculdades EST und der kirchlichen Augustana-Hochschule in Neuendettelsau besteht eine enge Partnerschaft. Regelmäßig kommen Studierende aus Brasilien nach Deutschland, um ein Studienjahr in Bayern zu verbringen und umgekehrt. Aktuell arbeitet der deutsche Museumspädagoge Jakob Ackermann – entsandt von der ELKB  im Rahmen des Jubiläums „200 Jahre lutherische Präsenz in Brasilien“  – im Archiv der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (EKLBB), das an der EST angesiedelt ist, mit.

Mission EineWelt unterstützt Initiativen der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (EKLBB) zur Aufarbeitung der Flutkatastrophe in Rio Grande do Sul aus dem kürzlich eingerichteten Klimahilfsfonds. Im Fokus der Initiativen der EKLBB stehen neben Soforthilfemaßnahmen und Unterstützung beim Wiederaufbau für Einzelne und Familien, die Wiederinstandsetzung von pädagogisch-diakonischen Einrichtungen, von kirchlichen Einrichtungen und Kirchengemeinden.

Sie können mit Ihrer Spende die Menschen in unseren Partnerkirchen unterstützen, die unter den Folgen der Klimakatastrophe leiden. Ihre Spende wird unmittelbar und zielgerichtet eingesetzt.

Zentrales Spendenkonto:

IBAN: DE12 5206 0410 0001 011111

BIC: GENODEF1EK1

Evangelische Bank eG

Stichwort: Klimahilfsfonds

 

 

Flut in Porto Alegre

Flut in Porto Alegre, © ELKB/Michael Martin

Die Klimakrise trifft viele Länder im globalen Süden besonders hart. Kenia, Brasilien und Tansania sind derzeit stark von extremen Wetterereignissen betroffen. Überschwemmungen, Dürren und Hitzewellen zerstören die Lebensgrundlagen unzähliger Menschen. Hilfe ist dringend erforderlich, z.B. im afrikanischen Kenia: Anhaltende Dürren bedrohen hier die Lebensgrundlagen vieler Menschen. Ernten fallen aus, Wasserquellen versiegen, und Millionen von Menschen leiden unter Nahrungsmittelknappheit. Besonders betroffen sind die ländlichen Regionen, wo das Vieh verendet und die Felder vertrocknen.

Auch im Süden Brasiliens, speziell im Bundesstaat Rio Grande do Sul, haben heftige Regenfälle zu den verheerendsten Überschwemmungen der Geschichte geführt. In der Hauptstadt Porto Alegre und vielen weiteren Gebieten stehen Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz. Notunterkünfte sind überfüllt, viele Betroffene haben alles verloren und sind auf Hilfe und Unterstützung auch aus Übersee angewiesen.
Video zur Flutkatastrophe in Brasilien (Faculdades EST)

Auch Menschen in unserer Partnerkirche in Tansania leiden derzeit unter einer Vielzahl klimabedingter Herausforderungen. Überschwemmungen und heftige Regenfälle, die dem Klimawandel und dem El-Niño-Phänomen zugerechnet werden, haben Teile des Landes verwüstet. Häuser, Felder und wichtige Infrastruktur wurden zerstört, es gab Tote und Verletzte durch Schlammlawinen. Zahlreiche Menschen mussten sich in Sicherheit bringen. Gleichzeitig kämpfen andere Regionen im südlichen Afrika mit extremer Hitze und Dürre.

Auch der Erdrutsch in der Provinz Enga im Hochland von Papua-Neuguinea ist eine Folge des Klimawandels. Massive Regenfälle und vermutlich auch Veränderungen des Bodens und der Berglandschaft durch Aktivitäten der Porgera-Mine haben zum Abgang eines Berghangs geführt. Mit Stand 27. Mai wird von mehr als 2.000 Toten ausgegangen. Bereits im März des Jahres waren mindestens 23 Menschen bei einem Erdrutsch in einer nahegelegenen anderen Provinz ums Leben gekommen.

Mission EineWelt hat jetzt einen Klimahilfsfonds eingerichtet, um den betroffenen Menschen in Kenia, Brasilien, Tansania, Papua-Neuguinea sowie unseren anderen Partnerkirchen langfristig helfen zu können. Jede Hilfe zählt – sei es für Soforthilfe, wie Lebensmittel, Kleidung, medizinische Versorgung, Rehabilitation, sowie den Wiederaufbau von Infrastruktur oder Präventionsmaßnahmen.

Wenn Sie die Menschen in unseren Partnerkirchen gezielt unterstützen möchten, können Sie für den neuen Klimahilfsfonds spenden. Damit unterstützen Sie jetzt und auch zukünftig die Menschen in unseren überseeischen Partnerkirchen, die unter den Folgen der Klimakatastrophe massiv leiden. Ihre Spende wird unmittelbar und zielgerichtet eingesetzt und kann Existenzen sichern.

Der Klimahilfsfonds ist Bestandteil unserer aktuellen Kampagne zur Klimagerechtigkeit. Unter dem Motto „Klimaschutz gobal gerecht“ unterstützen wir Aktionen unserer Partnerkirchen für mehr Klimaschutz und Klimagerechtigkeit.

Hier geht es zum Spendenaufruf.

Zentrales Spendenkonto von Mission EineWelt
IBAN: DE12 5206 0410 0001 011111
BIC: GENODEF1EK1
Evangelische Bank eG
Stichwort: Klimahilfsfonds

 

 

 

Forderten Gerechtigkeit im Umgang mit den Folgen des Klimawandels: die Mission EineWelt-Direktor*innen Gabriele und Hanns Hoerschelmann (Foto: Thomas Nagel)

Forderten Gerechtigkeit im Umgang mit den Folgen des Klimawandels: die Mission EineWelt-Direktor*innen Gabriele und Hanns Hoerschelmann (Foto: Thomas Nagel)

„Gutes Klima, gutes Leben – Klimaschutz global gerecht“. Der Jahresempfang von Mission EineWelt am 16. Mai 2024 im evangelischen Zentrum UlrichsEck in Augsburg stand ganz im Zeichen der Forderung nach Klimagerechtigkeit. Angesichts der Situation, dass die Menschen im Globalen Süden verschwindend wenig zum Klimawandel beitragen, aber den Hauptteil der gravierenden Auswirkungen erleiden, sagte Mission EineWelt-Direktorin Gabriele Hoerschelmann: „Die meisten Folgen des Klimawandels tragen die Menschen in unseren Partnerkirchen, und das ist nicht gerecht.“

Armin Raunigk, Mission EineWelt, Regionalstelle Südbayern, Carola Bilitik, Hermann Fischer, Petra Schmolinsky und Manfred Kurth, Leiter des Referats Begegnung Weltweit bei Mission EineWelt (Foto: Thomas Nagel)

Armin Raunigk, Mission EineWelt, Regionalstelle Südbayern, Carola Bilitik, Hermann Fischer, Petra Schmolinsky und Manfred Kurth, Leiter des Referats Begegnung Weltweit bei Mission EineWelt (Foto: Thomas Nagel)

Klimagerechtigkeit? – Hermann Fischer brachte es auf den Punkt: „Es ist ganz klar, das Entwicklungsland sind wir“, sagte er vor den rund 90 Gästen des Jahresempfangs. Fischer engagiert sich ehrenamtlich für die Partnerschaftsarbeit. Seit 2013 ist er einer der Dekanatsmissionsbeauftragten in Augsburg und zudem Mitglied im Kuratorium von Mission EineWelt. Wie auch Carola Bilitik aus München und Petra Schmolinsky aus Memmingen wurde Fischer beim Jahresempfang für sein Engagement geehrt.

Mit seinem Statement hatte Fischer alle Aspekte der Thematik zusammengefasst, die zuvor diskutiert wurden. Denn bisher reagieren insbesondere die Industrieländer im Globalen Norden viel zu träge auf den rasant fortschreitenden Klimawandel – und das, obwohl sie die Hauptverursacher dieser Entwicklung waren und sind. „Es bräuchte drastische Veränderungen“, wenn das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 bis 1,8 Grad zu begrenzen, noch erreicht werden solle, forderte

Aktivist Vincet Gewert wirbt für die Unterstützung des Fossil Fuel Treaty (Foto: Thomas Nagel)

Aktivist Vincent Gewert wirbt für die Unterstützung des Fossil Fuel Treaty (Foto: Thomas Nagel)

Vincent Gewert in seinem Vortrag. Dass die bisherigen Bemühungen um Klimaschutz dafür nicht ausreichen, ist weitestgehend unumstritten. Gewert, der seinen Freiwilligendienst mit Mission EineWelt auf Fidschi absolviert hat und inzwischen Liberal Arts mit Schwerpunkt Philosophie und Politikwissenschaften studiert, engagiert sich bei Fridays for Future und im Ozeanien-Dialog. 2023 hat er als zivilgesellschaftlicher Vertreter an der Weltklimakonferenz in Dubai teilgenommen. Konkret hält der Aktivist drei Schritte für notwendig, wenn der Klimawandel noch auf einem geradeso erträglichen Niveau gehalten werden soll: „Wir dürfen keine neue fossile Infrastruktur, wie zum Beispiel Flüssiggas-Terminals, mehr aufbauen. Wir müssen frühzeitig aus den fossilen Energien aussteigen. Und es braucht dringend finanzielle Unterstützung für Länder, die den Umstieg nicht alleine schaffen.“ Diese drei Forderungen sind auch im „Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty“ enthalten, der zunächst insbesondere von den pazifischen Inselstaaten, deren Existenz durch den Klimawandel massiv gefährdet ist, propagiert wurde. Inzwischen findet er international mehr und mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung. Stand 17. Mai 2024 unterstützen 12 Länder, 108 Kommunen und regionale Regierungen, 101 Nobelpreisträger*innen, 2.514 zivilgesellschaftliche Organisationen und fast 625.000 Einzelpersonen das Abkommen, das an den Atomwaffensperrvertrag angelehnt ist. Gewert forderte die Zuhörer*innen auf, den FFT-Treaty ebenfalls zu unterzeichnen und sich „bei Abgeordneten und Parteien“ für eine Unterzeichnung des Vertrags einzusetzen. Die Unterzeichnung ist im Internet unter https://fossilfueltreaty.org/#endorse möglich.

Um die Frage, was Mission EineWelt dazu beiträgt und noch beitragen kann, die Bemühungen um Klimagerechtigkeit voranzubringen, ging es in der folgenden Podiumsdiskussion, die von Dorcas Parsalaw, Fachreferentin für Nachhaltigkeit bei Mission EineWelt moderiert wurde. „Mission EineWelt macht schon viel“, lobte Zra Kodji, Jugendreferent bei der Evangelischen Jugend Nürnberg und Student der Nachhaltigen Entwicklungszusammenarbeit, die Gastgeberin. Für die Zukunft forderte er Mission EineWelt auf, die „Unterstützung der Bildungsarbeit in den Partnerkirchen“ weiter zu verstärken. Daran schloss Julia Ratzmann, Leiterin der Pazifik-Infostelle bei Mission EineWelt an. Das „Hören auf das, was die Partner sagen und deren Ideen zu unterstützen“, sei quasi der „Unique Selling Point von Mission

Warb für internationale Zusammenarbeit im Einsatz für Klimagerechtigkeit: die Augsburger Dekanin Doris Sperber-Hartmann (Foto: Thomas Nagel)

Warb für internationale Zusammenarbeit im Einsatz für Klimagerechtigkeit: die Augsburger Dekanin Doris Sperber-Hartmann (Foto: Thomas Nagel)

EineWelt. In diesem Sinne sei es wichtig, dass das Partnerschaftszentrum auch den Fossil Fuel Treaty unterstütze. Vincent Gewert zeigte sich unter großem Applaus „überzeugt, dass Kirche einen politischen Auftrag hat“. Dazu gehöre auch, Kampagnen der Partner aus dem Globalen Süden zu teilen und zu verstärken.

Die Bedeutung des weltweiten Miteinanders für ein besseres Zusammenleben hob auch die Augsburger Dekanin Doris Sperber-Hartmann hervor: „Wir müssen uns weltweit vernetzen, denn wir sind aufeinander angewiesen.“ Mission EineWelt helfe dabei, „dass wir diese Vernetzung stemmen können“.

Propagierte das UlrichsEck als Symbol: Regionalbischof Axel Piper (Foto: Thomas Nagel)

Propagierte das UlrichsEck als Symbol: Regionalbischof Axel Piper (Foto: Thomas Nagel)

Und jetzt? – „Sie befinden sich auf historischem Grund“, hatte Regionalbischof Axel Piper die Teilnehmenden des Jahresempfangs begrüßt und dabei auf die lange Geschichte der Stadt und auf die Vorgeschichte des UlrichsEcks rekurriert. Für ihn, so Piper, sei das UlrichsEck als „Neubau auf historischem Grund“ auch ein Symbol. Ob irgendwann kirchliches Engagement für Klimagerechtigkeit ein solcher „symbolischer Neubau“ – vielleicht gar mit dem Start im Mai 2024 in Augsburg – sein wird, wird die Zukunft zeigen.

Wer sich mit den Menschen auf der Straße in Nairobi unterhält, spürt viel Bitterkeit gegenüber Kenias Behörden. „Unser Präsident stilisiert sich gern als internationaler Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel. Aber unsere Politiker haben uns im Stich gelassen. Sie waren schnell dabei, neue Steuern einzuführen und alte zu erhöhen. Aber jetzt sehen wir sie nicht. Es war lange bekannt, dass wir schwere Regenfälle erwarten. Aber sie haben keine Vorkehrungen getroffen und tun auch jetzt kaum etwas“, sagt Taxifahrer Goodluck (Name geändert). Der Verband der Landvermessungsingenieure Kenias („Institution of Surveyors of Kenya“) beklagt seit langem eine allgemeine Missachtung von Planungs- und Bebauungsvorschriften durch Bauherren und Bauträger und die Zerstörung von Feuchtgebieten durch die Besiedlung von Flussufern in Vierteln wie Mathare in Nairobi.

Ostafrika kämpft mit verheerenden Regenfällen und Überschwemmungen, die in Kenia und Tansania Hunderte von Menschenleben kosteten. Bilder und Berichte von überfluteten Slums in den niedriger gelegenen Gegenden Nairobis und über den geborstenen Old Kijabe-Damm in der Rift Valley-Region Kenias gingen Anfang Mai durch alle internationalen Medien. Selbst Tourist*innen in ihren Lodges am Talek Fluss in der Masai Mara blieben nicht verschont. Sie mussten evakuiert werden. Prominentestes kenianisches Todesopfer war die Klimaaktivistin Benna Buluma, die in ihrer Hütte im Mathare Slum in Nairobi von den Fluten überrascht wurde und keine Chance auf Entkommen hatte.

Im Dorf Kulesa in der Tana River-Region versuchen die Einwohner*innen, sich mit selbstgebauten Dämmen vor dem Hochwasser zu schützen. (Foto: Dumba Eliza)

Im Dorf Kulesa in der Tana River-Region versuchen die Einwohner*innen, sich mit selbstgebauten Dämmen vor dem Hochwasser zu schützen. (Foto: Dumba Eliza)

Weniger bekannt ist, dass die dem Wetterphänomen El Nino zugeschriebene Extremwetterlage, verschärft durch den Klimawandel, Ostafrika bereits seit Ende 2023 im Griff hat und weiterhin andauert. Die ACT Alliance, ein ökumenisches humanitäres Bündnis von über 140 kirchlicher Organisationen, veröffentlichte bereits im Dezember 2023 einen Hilfsaufruf, den Mission EineWelt und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern mit insgesamt 220.000 Euro aus Haushaltsmitteln unterstützten. Dieses Geld ist jetzt vor Ort und leistet wertvolle Arbeit. Zum Beispiel in der Tana River-Region im Nordosten Kenias. Von dort berichtet Dekan Titus Bere Komora von der Kenya Evangelical Lutheran Church: „Die Pegelstände am Tana River steigen immer noch weiter. Teile der Gemeinde Salama sind von der Außenwelt abgeschnitten. In den Gebieten von Garsen, Maziwa, Singwaya und Kakoneni, wo Farmen zum Teil weit außerhalb der Dörfer liegen, sind Felder einfach weggeschwemmt worden. Das Dorf Maziwa ist teils völlig überflutet und Häuser sind zerstört. Bis zu 235 Haushalte sind betroffen. Die Menschen wurden aufgefordert, in höher gelegene Gegenden zu flüchten und dort, soweit möglich, bei Verwandten unterzukommen. Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde Kulesa versuchen, kleine Dämme zu errichten, um das Vordringen der Wassermassen aufzuhalten.“

 

Klaus Dotzer

Seit 14. Mai ist die lange verhandelte Reform des europäischen Asylrechts beschlossen. Der Rat der Europäischen Union hat in Brüssel den zehn Rechtsakten des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zugestimmt. Auffanglager an den EU-Außengrenzen, Asylverfahren in als „sicher“ erklärten Drittstaaten und weitere restriktive Maßnahmen besiegeln den Paradigmenwechsel weg von einer ansatzweisen Willkommenspolitik hin zu Abschottung und Abschreckung.

Engagiert im Einsatz für Menschenrechte: Gisela Voltz, hier im Gespräch mit einem Teilnehmer der WeltUni (Foto: Thomas Nagel)

Engagiert im Einsatz für Menschenrechte: Gisela Voltz, hier im Gespräch mit einem Teilnehmer der WeltUni (Foto: Thomas Nagel)

Bei Mission EineWelt, dem internationalen Partnerschaftszentrum der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, wird diese Entwicklung mit Bestürzung und Sorge zur Kenntnis genommen. Die Verschärfung des GEAS sei „im höchsten Maße beschämend“, meint Gisela Voltz, Bildungsreferentin im Referat Bildung Global bei Mission EineWelt. „Familien mit Kindern unter haftähnlichen Bedingungen festzuhalten und Schutzsuchenden aus Ländern mit niedriger Anerkennungsquote ein faires Asylverfahren nahezu zu verweigern, verletzt die Menschenwürde und das Grundrecht auf Asyl.“

Die Theologin fordert eine grundlegende Wende hin zu einer wirklich menschenwürdigen Asylpolitik: „Eine menschenwürdige Asylpolitik würde nicht Abschottung und Abschreckung bedeuten, sondern das Schaffen von sicheren Fluchtwegen sowie ein Ansetzen an den Fluchtursachen, die da heißen kriegerische Konflikte, Klimawandel, ungerechte Handelsbedingungen, Unterdrückung durch autoritäre Regime, Armut und Perspektivlosigkeit. Eine diesbezüglich kohärente Politik seitens der EU, die auf der Unterstützung in der Anpassung an den Klimawandel, auf ehrlicher Klimagerechtigkeit, keinem Paktieren mit autoritären Regimen und wirklich fairen Handelsbedingungen beruht, wäre dringend nötig. Kein Mensch flieht freiwillig.“

Am 22. April war World Earth Day. Überall auf der Welt machen Menschen an diesem Tag auf die Klimakrise und ihre Folgen aufmerksam. Die HandyAktion Bayern hat dies zum Anlass genommen, zu einer bayernweiten Handysammelchallenge aufzurufen, die am World Earth Day endete. Nun stehen die Gewinner*innen fest.

Wobei die Leistung und der Einsatz aller Teilnehmenden überragend waren: 25 Kisten und damit etwa 1.000 Handys sind insgesamt zusammengekommen. Diese können nun dem fachgerechten Recycling zugeführt werden. Dabei können wichtige Rohstoffe recycelt werden und müssen nicht unter ausbeuterischen Bedingungen für Mensch und Natur neu abgebaut werden. Die meisten Alt-Handys haben das Pfarramt Feucht, der Weltladen Teublitz, der Weltladen Cocoyoc in Hersbruck und der Weltladen Kulmbach gesammelt. Sie haben jeweils einen Aktionstag bei sich vor Ort gewonnen.

Die Handysammelchallenge war Teil der HandyAktion Bayern. Diese wird getragen von Mission EineWelt und dem Eine-Welt-Netzwerk Bayern. Die HandyAktion will auf die Bedingungen in der Handyproduktion aufmerksam machen und gleichzeitig nicht mehr genutzte Handys sammeln und dem fachgerechten Recycling zuführen. Mitmachen können alle Gruppen und Organisationen in Bayern.

Es geht ganz einfach: Auf der Website https://handyaktion-bayern.de eine Sammelbox bestellen und aufstellen.

Die Handysammel-Challenge der HandyAktion Bayern ist Teil des aktuellen Schwerpunktthemas „Klimagerechtigkeit“ von Mission EineWelt.

 

Weitere Informationen:

handyaktion-bayern.de

mission-einewelt.de/klimagerechtigkeit

Was macht frau, wenn sie bei den wichtigen Beratungen zum Fortgang des Gemeinwesens nicht erwünscht ist? – Ganz einfach: ihr eigenes Ding!

Jedenfalls in Enggros, einem Dorf in Westpapua/Indonesien läuft das so. Weil sie bei den Entscheidungen ihr Dorf betreffend nicht mitmachen dürfen, treffen sie sich zu eigenen Gesprächen und Beratungen im Mangrovenwald des Dorfes. Männern ist der Zutritt unter Strafe verboten.

In ihrem 2019 gedrehten, mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm „Wald der Frauen“ zeigt Yulika Anastasia Indrawati einfach diese Begegnungen und Gespräche. Sie begleitet die Frauen beim Sammeln von Fisch und Meeresfrüchten für ihre Familien und für den Verkauf am Markt. Dabei wird auch deutlich, wie bedroht der Wald durch Bauprojekte und Umweltverschmutzung ist. Auf Interviews oder direkte Interaktion mit den Protagonistinnen verzichtet die Filmemacherin komplett. Umso authentischer und eindrücklicher gelingt der Einblick in die Welt der Frauen von Enggros und ihren Kampf um Selbstbestimmung.

Das Mittwochskino von Mission EineWelt zeigt „Wald der Frauen“ am 22. Mai 2024 um 19.30 Uhr im Otto-Kuhr-Saal (Hauptstraße 2 in Neuendettelsau). Der Eintritt ist frei.

Hoffnungsblumen in einem Gottesdienst an der EST (Foto: Ines Ackermann)

Hoffnungsblumen in einem Gottesdienst an der EST (Foto: Ines Ackermann)

Jetzt sitze ich also hier an meinem Schreibtisch am PC, mit einem Kaffee, in unserem schönen Haus mit Garten in São Leopoldo, Brasilien. Der Regen plätschert vor dem Fenster, es wird herbstlich, ich muss das Licht anschalten. Im Wohnzimmer höre ich unsere Kinder spielen. Ich kann ein bisschen so tun, als wäre alles beim Alten, denn wir wohnen auf dem „Spiegelberg“, neben der Universität Faculdades EST, und unser Haus wurde von den Wassermassen verschont. Aber direkt über uns höre ich einen der Rettungshubschrauber und während ich diesen Absatz schreibe, sind etwa 80 Nachrichten in verschiedenen WhatsApp Gruppen auf meinem Handy eingegangen: In einer Notunterkunft werden ganz dringend noch 300 Portionen Essen gebraucht. Die Schwiegermutter sitzt noch allein im Hochhaus fest, ohne Trinkwasser, kann jemand sie mit einem Boot retten? Ärzt*innen haben sich zusammengeschlossen und stellen online Rezepte aus. Eine lange Liste von Kindern, die ihre Eltern suchen. Ein Gebet. Und immer wieder dazwischen: Warnungen vor Überfällen und Gewalt, und Infos der Regierung über kursierende Falschmeldungen und den aktuellen Pegelstand des Flusses.

Wir sind vor gut sechs Monaten mit der Familie hierhergekommen, um bei der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB) mitzuarbeiten, vor allem rund um das 200-jährige Jubiläum, der „lutherischen Anwesenheit in Brasilien“, was gleichzeitig auch mit dem 200. Stadtjubiläum von São Leopoldo zusammenfällt, bei dem die Ankunft der ersten deutschen Siedler*innen hier gefeiert werden sollte. São Leopoldo ist eine Stadt mit gut 200.000 Einwohner*innen und ist mit ein paar anderen Städten zusammengewachsen zu einem großen Ballungsraum bis Porto Alegre, der 1,5-Milionen-Hauptstadt von Brasiliens südlichstem Bundesstaat Rio Grande do Sul.

Seit einer guten Woche ist niemandem hier mehr nach Feiern zumute. Am 2. Mai, einem Donnerstag, wurden auf Grund von starkem Regen alle Schulen geschlossen, Straßen wurden unpassierbar, Brücken gesperrt. Zwei Tage darauf sagte der Stadtpräsident in einer verzweifelten Ansprache, dies sei der schlimmste Tag in der 200-jährigen Geschichte der Stadt. Alle hatten gewusst, dass es zu Überschwemmungen kommen könnte, allein in den wenigen Monaten, in denen wir hier sind, haben auch wir schon überschwemmte Häuser und Felder in der Umgebung erlebt. Dass der Fluss auf über 8 Meter steigen würde, der Damm nicht nur brechen, sondern auch überlaufen würde, zahlreiche Stadtviertel bis in die Obergeschosse der Häuser überflutet und schließlich die Stadt weit bis in die Innenstadt unter Wasser stehen würde, damit hat offenbar niemand gerechnet. Wie die Infrastruktur einer Stadt ineinander verwoben ist, lernen wir jetzt: Pumpen gehen kaputt, also steht die Wasserversorgung der gesamten Stadt für eine Weile still, in manchen Vierteln ist auch der Strom abgestellt. Straßen sind unbefahrbar, also wird die Versorgung schwierig, Benzin ist zum Beispiel Mangelware. Menschen haben Angst vor Versorgungsengpässen und kaufen die Supermärkte leer. Hier gab es eine Weile kein Trinkwasser zu kaufen, aber auch keine Eier und wenig Brot. Klopapier wollte niemand hamstern. Inzwischen ist das meiste wieder zu haben und wir haben auf unserem Berg auch Strom, Wasser und Internet.

Grundausstattung für die Arbeit in den Notunterkünften (Foto: Ines Ackermann)

Grundausstattung für die Arbeit in den Notunterkünften (Foto: Ines Ackermann)

Wie fast alle meine Bekannten helfe ich jetzt viel in den Notunterkünften mit, wo wir Kleidung, Essen und Matratzen verteilen, Listen schreiben und versuchen, wieder etwas mehr Ordnung und Perspektive zu schaffen. Das ist nicht einfach, da ein Großteil der Stadt und aller Nachbarstädte unter Wasser steht, und Tausende von Menschen ihre Häuser verlassen und oft auch ganz verloren haben. Die Zahlen variieren so stark und sind so abstrakt, dass ich nicht versuche, die richtigen zu finden. Was wir sehen: Die Menschen haben oft nur noch die Kleider am Leib, und die sind nass. Sie suchen ihre Familien und Freunde, manchmal haben sie Haustiere dabei oder mussten sie zurücklassen. Wer eine Matratze bekommt und eine Decke, ist froh.

Wir alle fragen uns: Wie wird es jetzt weitergehen? Was wird unter dem Wasser auftauchen? Welche Krankheiten bringt das Wasser? Auf Grund der vielen Fälle von Dengue-Fieber waren die Einwohner*innen schon in den letzten Wochen stets angehalten, stehendes Wasser zu vermeiden, damit die Mücken, die die Krankheit übertragen, nicht brüten können. Mehr stehendes Wasser als aktuell kann ich mir nicht vorstellen. Und wohin sollen die vielen Menschen gehen, die alles verloren haben, deren Häuser im Wasser regelrecht davongeschwommen sind? Einige meiner Bekannten haben ihre Häuser samt Inhalt vermutlich ganz verloren, das Wasser ist weit bis ins Obergeschoss gestiegen. Wie viel von unserem Geld, unseren Dingen, unserem Wohnraum können wir mit ihnen teilen, und gibt es eine Chance, dass sie ihr Leben wieder aufbauen können?

Gespendete Schuhe in einer Notunterkunft (Foto: Ines Ackermann)

Gespendete Schuhe in einer Notunterkunft (Foto: Ines Ackermann)

Der Wille zu helfen und zu teilen ist nicht weit weg von der Angst vor Raub und Plünderungen. Wer kann, bewacht sein Hab und Gut. Ein Freund, der seine Wohnung auf einer Luftmatratze paddelnd verlassen musste, hat erzählt, seine Sachen im 4. Stock eines Hochhauses seien offenbar sicherer, als er sich das je gewünscht hat. Im Nachbarschafts-Chat habe er gelesen, dass die Nachbarn nun in Schichten Wache stünden vor dem teils überschwemmten Haus, mit Schusswaffen.

Die Situation erinnert mich stark an die ersten Wochen nach Beginn des Ukraine-Krieges: die Massenunterkünfte und das Leid, und gleichzeitig ganz viel Hilfe, Zuspruch und Dankbarkeit. Bei all der Trauer um das, was um uns geschieht, ist es auch wunderbar zu sehen, wie die gegenseitige Unterstützung funktioniert und wir zusammen lachen und weinen können.

In den letzten Tagen hat wieder starker Regen eingesetzt, die Stadt warnt eindringlich davor, in schon betroffene Häuser zurückzukehren, denn das Wasser steigt wieder. Trotzdem gibt es Hoffnung, dass die Schulen im Laufe der Woche wieder aufmachen, mit allen, die es schaffen, sich dahin durchzukämpfen. Es ist noch ein sehr, sehr weiter Weg zur Normalität, aber alle arbeiten daran. Denn auch wenn sich manche Momente hier zwischendurch wie immer anfühlen – kaum noch etwas ist wie vor dem Wasser.

 

Ines Ackermann