Was macht frau, wenn sie bei den wichtigen Beratungen zum Fortgang des Gemeinwesens nicht erwünscht ist? – Ganz einfach: ihr eigenes Ding!

Jedenfalls in Enggros, einem Dorf in Westpapua/Indonesien läuft das so. Weil sie bei den Entscheidungen ihr Dorf betreffend nicht mitmachen dürfen, treffen sie sich zu eigenen Gesprächen und Beratungen im Mangrovenwald des Dorfes. Männern ist der Zutritt unter Strafe verboten.

In ihrem 2019 gedrehten, mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm „Wald der Frauen“ zeigt Yulika Anastasia Indrawati einfach diese Begegnungen und Gespräche. Sie begleitet die Frauen beim Sammeln von Fisch und Meeresfrüchten für ihre Familien und für den Verkauf am Markt. Dabei wird auch deutlich, wie bedroht der Wald durch Bauprojekte und Umweltverschmutzung ist. Auf Interviews oder direkte Interaktion mit den Protagonistinnen verzichtet die Filmemacherin komplett. Umso authentischer und eindrücklicher gelingt der Einblick in die Welt der Frauen von Enggros und ihren Kampf um Selbstbestimmung.

Das Mittwochskino von Mission EineWelt zeigt „Wald der Frauen“ am 22. Mai 2024 um 19.30 Uhr im Otto-Kuhr-Saal (Hauptstraße 2 in Neuendettelsau). Der Eintritt ist frei.

Hoffnungsblumen in einem Gottesdienst an der EST (Foto: Ines Ackermann)

Hoffnungsblumen in einem Gottesdienst an der EST (Foto: Ines Ackermann)

Jetzt sitze ich also hier an meinem Schreibtisch am PC, mit einem Kaffee, in unserem schönen Haus mit Garten in São Leopoldo, Brasilien. Der Regen plätschert vor dem Fenster, es wird herbstlich, ich muss das Licht anschalten. Im Wohnzimmer höre ich unsere Kinder spielen. Ich kann ein bisschen so tun, als wäre alles beim Alten, denn wir wohnen auf dem „Spiegelberg“, neben der Universität Faculdades EST, und unser Haus wurde von den Wassermassen verschont. Aber direkt über uns höre ich einen der Rettungshubschrauber und während ich diesen Absatz schreibe, sind etwa 80 Nachrichten in verschiedenen WhatsApp Gruppen auf meinem Handy eingegangen: In einer Notunterkunft werden ganz dringend noch 300 Portionen Essen gebraucht. Die Schwiegermutter sitzt noch allein im Hochhaus fest, ohne Trinkwasser, kann jemand sie mit einem Boot retten? Ärzt*innen haben sich zusammengeschlossen und stellen online Rezepte aus. Eine lange Liste von Kindern, die ihre Eltern suchen. Ein Gebet. Und immer wieder dazwischen: Warnungen vor Überfällen und Gewalt, und Infos der Regierung über kursierende Falschmeldungen und den aktuellen Pegelstand des Flusses.

Wir sind vor gut sechs Monaten mit der Familie hierhergekommen, um bei der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB) mitzuarbeiten, vor allem rund um das 200-jährige Jubiläum, der „lutherischen Anwesenheit in Brasilien“, was gleichzeitig auch mit dem 200. Stadtjubiläum von São Leopoldo zusammenfällt, bei dem die Ankunft der ersten deutschen Siedler*innen hier gefeiert werden sollte. São Leopoldo ist eine Stadt mit gut 200.000 Einwohner*innen und ist mit ein paar anderen Städten zusammengewachsen zu einem großen Ballungsraum bis Porto Alegre, der 1,5-Milionen-Hauptstadt von Brasiliens südlichstem Bundesstaat Rio Grande do Sul.

Seit einer guten Woche ist niemandem hier mehr nach Feiern zumute. Am 2. Mai, einem Donnerstag, wurden auf Grund von starkem Regen alle Schulen geschlossen, Straßen wurden unpassierbar, Brücken gesperrt. Zwei Tage darauf sagte der Stadtpräsident in einer verzweifelten Ansprache, dies sei der schlimmste Tag in der 200-jährigen Geschichte der Stadt. Alle hatten gewusst, dass es zu Überschwemmungen kommen könnte, allein in den wenigen Monaten, in denen wir hier sind, haben auch wir schon überschwemmte Häuser und Felder in der Umgebung erlebt. Dass der Fluss auf über 8 Meter steigen würde, der Damm nicht nur brechen, sondern auch überlaufen würde, zahlreiche Stadtviertel bis in die Obergeschosse der Häuser überflutet und schließlich die Stadt weit bis in die Innenstadt unter Wasser stehen würde, damit hat offenbar niemand gerechnet. Wie die Infrastruktur einer Stadt ineinander verwoben ist, lernen wir jetzt: Pumpen gehen kaputt, also steht die Wasserversorgung der gesamten Stadt für eine Weile still, in manchen Vierteln ist auch der Strom abgestellt. Straßen sind unbefahrbar, also wird die Versorgung schwierig, Benzin ist zum Beispiel Mangelware. Menschen haben Angst vor Versorgungsengpässen und kaufen die Supermärkte leer. Hier gab es eine Weile kein Trinkwasser zu kaufen, aber auch keine Eier und wenig Brot. Klopapier wollte niemand hamstern. Inzwischen ist das meiste wieder zu haben und wir haben auf unserem Berg auch Strom, Wasser und Internet.

Grundausstattung für die Arbeit in den Notunterkünften (Foto: Ines Ackermann)

Grundausstattung für die Arbeit in den Notunterkünften (Foto: Ines Ackermann)

Wie fast alle meine Bekannten helfe ich jetzt viel in den Notunterkünften mit, wo wir Kleidung, Essen und Matratzen verteilen, Listen schreiben und versuchen, wieder etwas mehr Ordnung und Perspektive zu schaffen. Das ist nicht einfach, da ein Großteil der Stadt und aller Nachbarstädte unter Wasser steht, und Tausende von Menschen ihre Häuser verlassen und oft auch ganz verloren haben. Die Zahlen variieren so stark und sind so abstrakt, dass ich nicht versuche, die richtigen zu finden. Was wir sehen: Die Menschen haben oft nur noch die Kleider am Leib, und die sind nass. Sie suchen ihre Familien und Freunde, manchmal haben sie Haustiere dabei oder mussten sie zurücklassen. Wer eine Matratze bekommt und eine Decke, ist froh.

Wir alle fragen uns: Wie wird es jetzt weitergehen? Was wird unter dem Wasser auftauchen? Welche Krankheiten bringt das Wasser? Auf Grund der vielen Fälle von Dengue-Fieber waren die Einwohner*innen schon in den letzten Wochen stets angehalten, stehendes Wasser zu vermeiden, damit die Mücken, die die Krankheit übertragen, nicht brüten können. Mehr stehendes Wasser als aktuell kann ich mir nicht vorstellen. Und wohin sollen die vielen Menschen gehen, die alles verloren haben, deren Häuser im Wasser regelrecht davongeschwommen sind? Einige meiner Bekannten haben ihre Häuser samt Inhalt vermutlich ganz verloren, das Wasser ist weit bis ins Obergeschoss gestiegen. Wie viel von unserem Geld, unseren Dingen, unserem Wohnraum können wir mit ihnen teilen, und gibt es eine Chance, dass sie ihr Leben wieder aufbauen können?

Gespendete Schuhe in einer Notunterkunft (Foto: Ines Ackermann)

Gespendete Schuhe in einer Notunterkunft (Foto: Ines Ackermann)

Der Wille zu helfen und zu teilen ist nicht weit weg von der Angst vor Raub und Plünderungen. Wer kann, bewacht sein Hab und Gut. Ein Freund, der seine Wohnung auf einer Luftmatratze paddelnd verlassen musste, hat erzählt, seine Sachen im 4. Stock eines Hochhauses seien offenbar sicherer, als er sich das je gewünscht hat. Im Nachbarschafts-Chat habe er gelesen, dass die Nachbarn nun in Schichten Wache stünden vor dem teils überschwemmten Haus, mit Schusswaffen.

Die Situation erinnert mich stark an die ersten Wochen nach Beginn des Ukraine-Krieges: die Massenunterkünfte und das Leid, und gleichzeitig ganz viel Hilfe, Zuspruch und Dankbarkeit. Bei all der Trauer um das, was um uns geschieht, ist es auch wunderbar zu sehen, wie die gegenseitige Unterstützung funktioniert und wir zusammen lachen und weinen können.

In den letzten Tagen hat wieder starker Regen eingesetzt, die Stadt warnt eindringlich davor, in schon betroffene Häuser zurückzukehren, denn das Wasser steigt wieder. Trotzdem gibt es Hoffnung, dass die Schulen im Laufe der Woche wieder aufmachen, mit allen, die es schaffen, sich dahin durchzukämpfen. Es ist noch ein sehr, sehr weiter Weg zur Normalität, aber alle arbeiten daran. Denn auch wenn sich manche Momente hier zwischendurch wie immer anfühlen – kaum noch etwas ist wie vor dem Wasser.

 

Ines Ackermann

Christoph Asmuth (Rektor AHS), Karla Koll, Heike Walz und Jürgen Bergmann (v.l.n.r.) Foto: Augustana-Hochschule

Christoph Asmuth (Rektor AHS), Karla Koll, Heike Walz (Professorin an der AHS) und Jürgen Bergmann (v.l.n.r.) (Foto: Augustana-Hochschule)

„Combatting theological terrorism: Rethinking eschatology in times of climate change in Central América“ lautete das Thema eines Vortrags von Karla Koll am 7. Mai 2024 an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau. Koll, die als Professorin an der Universidad Bíblica Latinoamericana in Costa Rica arbeitet, wurde mit der Vicedom-Dozentur geehrt, die von Mission EineWelt und der Augustana Hochschule gemeinsam an international renommierte Wissenschaftler*innen aus einer Partnerkirche bzw. von einer Partnerhochschule der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vergeben wird.

„Terroristisch“ sei eine Theologie dann, wenn sie die Menschen ausschließlich auf die Wiederkunft Christi vertröste und ihnen die Verantwortung abspreche, sich aktiv an der Bewahrung der Schöpfung und der gesamten Mitwelt zu beteiligen, erläuterte Koll. Deutliche Worte fand sie gegen die fundamentalistischen Theologien Nordamerikas, die sich allein der Verkündigung des Wortes widmeten und jedes aktive Handeln zur Bewahrung der guten Schöpfung Gottes ablehnten.

Dem stellt Koll eine Endzeitlehre der Verantwortung gegenüber, in der der Mensch als Teil der gesamten Schöpfung und nicht als herausgehobene Krone der Schöpfung gesehen wird. Der Mensch müsse die zerstörerischen Kräfte der globalisierten Welt demaskieren und erkennen, dass es ohne die Gesamtheit der Schöpfung kein Heil gebe. Deshalb sei es die Aufgabe des Menschen und insbesondere der Christinnen und Christen, heute das Menschenmögliche zu tun.

Die Theologin leugnete nicht die berechtigten Zukunftsängste der Menschen, im Gegenteil: hier sei pastorale Hilfe gefragt, betonte Koll. Dabei könne auch helfen, den Begriff der Apokalypse neu zu verstehen: Während katastrophale Ereignisse gemeinhin als „apokalyptisch“ bezeichnet würden, gehe es wörtlich um die Enthüllung, um die „Offenbarung“ göttlichen Wissens. Wie tröstlich, wenn man auch in vermeintlichen Katastrophen das Wirken Gottes entdecken kann.

Mit diesen Thesen befindet sich Karla Koll in einer Linie mit Vicedoms „Missio Dei“, mit der dieser die Teilhabe der Menschen an der Sendung des Sohnes mit dem umfassenden Ziel der Aufrichtung der Herrschaft Christi über die ganze erlöste Schöpfung propagierte.

Bewegend war die Anwesenheit einer Reihe von Nachfahren Georg Friedrich Vicedoms, darunter die inzwischen 90-jährige Tochter Heimtraud Walz, geborene Vicedom.

 

Jürgen Bergmann

Grafik: Daniela Denk, Mission EineWelt

Grafik: Daniela Denk, Mission EineWelt

Der Jahresempfang 2024 von Mission EineWelt findet am 16. Mai von 17 bis 21 Uhr im evangelischen Zentrum UlrichsEck in Augsburg statt. Dabei wird auch das neue Jahresthema vorgestellt: „Gutes Klima, gutes Leben – Klimaschutz global gerecht“.

Die Menschen in den Partnerkirchen der Evangelisch-Lutherischen Kirche leiden teilweise schon seit Jahren massiv unter den Folgen des Klimawandels. Besonders schlimm ist die Situation im Pazifikraum. Die traurige Skala reicht von immer heftigeren und häufigeren Extremwetterereignissen über sterbende Ökosysteme bis hin zum Versinken ganzer Inseln. Auch die Menschen in Afrika und Lateinamerika sind übermäßig stark vom Klimawandel betroffen. Und sie können nichts dafür, denn verursacht wird der Klimawandel hauptsächlich von den Industrieländern im Globalen Norden. Sie sind verantwortlich für den größten Teil der CO2-Emissionen, die zur Erderwärmung und zum Klimawandel führen.

Grund genug für Mission EineWelt, diese Ungerechtigkeit über die tägliche Partnerschaftsarbeit hinaus zum Jahresthema 2024 machen. Verbunden mit der Frage: Was können wir in Deutschland individuell und über Forderungen an Politik und Wirtschaft dazu beitragen, dass CO2-Emissionen massiv gesenkt werden und die Menschen im Globalen Süden die Unterstützung bekommen, die sie brauchen?

Beim Jahresempfang in Augsburg gibt es dazu einen Vortrag von Vincent Gewert, der seinen Freiwilligendienst mit Mission EineWelt auf Fidschi geleistet hat. Inzwischen studiert er Liberal Arts mit Schwerpunkt Philosophie und Politikwissenschaften, engagiert sich im Ozeanien-Dialog und war Teilnehmer an der Weltklimakonferenz 2023 in Dubai. Nach dem Vortrag vertieft eine Podiumsdiskussion mit der Leiterin der Pazifik-Infostelle bei Mission EineWelt, Julia Ratzmann, Zra Kodji, Jugendreferent bei der Evangelischen Jugend Nürnberg und Student der Nachhaltigen Entwicklungszusammenarbeit, sowie mit Vincent Gewert das Thema. Moderiert wird die Podiumsdiskussion von Dorcas Parsalaw, Studienleiterin im Referat Bildung Global von Mission EineWelt.

Die Begrüßung zum Start des Jahresempfangs übernimmt Regionalbischof Axel Piper. Das Grußwort kommt von der Augsburger Dekanin Doris Sperber-Hartmann. Für musikalische Unterhaltung sorgt die Band Kwaerthon. Und wie immer gibt es viele weitere Informationen über die Arbeit von Mission EineWelt, leckeres Essen und viel Gelegenheit für nette Gespräche.

Anmeldung: https://mission-einewelt.de/events/jahresempfang-in-augsburg/

Heftiger Regen hat im Süden Brasiliens zu verheerenden Überschwemmungen geführt. Mehr als  115.000 Menschen mussten im Bundesstaat Rio Grande do Sul mit der Hauptstadt Porto Alegre aus ihren Wohnungen und Häusern fliehen. Nach bisherigen Erkenntnissen sind mindestens 78 Menschen gestorben, über 100 werden noch vermisst.

Die Versorgungsbetriebe melden derzeit rund 420.000 Häuser ohne Strom, über eine Million Menschen hat keinen Zugang zu Trinkwasser. Die Belieferung mit Wasser aus Tankwagen droht zu stocken, weil der Treibstoff knapp wird. Betroffen sind auch einige Krankenhäuser, die ihren Betrieb einschränken oder ganz einstellen mussten.

Mission EineWelt-Direktorin Gabriele Hoerschelmann und Lateinamerikareferentin Kerstin Schönleben waren im Rahmen eines Besuchs bei der Partnerkirche IECLB (Evangelische Kirche lutherischen Bekenntnisses in Brasilien) in Porto Allegre. „Erschüttert sehen wir die Bilder von der Flutkatastrophe in der Stadt und im Großraum von Porto Alegre. Zusammen mit der Referentin für Lateinamerika, Kerstin Schönleben, war ich in den vergangenen Tagen mit der Kirchenleitung der IECLB in Brasilien zusammen und wir haben mit ihnen den Schock und die Traurigkeit über diese Notsituation geteilt. In tiefer Verbundenheit stehen wir an der Seite unserer Geschwister in der Partnerkirche. Wir tun alles, um möglichst schnell Hilfe anbieten zu können“, berichtet Hoerschelmann.

Die IECLB nutzt ihre Strukturen, um, so gut es geht, vor Ort zu helfen.

Vor kurzem hat die Kirchenleitung um Präsidentin Slivia Genz folgendes „Hirtenwort“ veröffentlicht, mit dem sie den notleidenden Menschen Mut zuspricht:

Liebe Schwestern und Brüder in Christus.

unser Kummer ist groß! Die gesamte IECLB weint und ist sich des Schmerzes bewusst, den Sie durchmachen. Wir umarmen dich aus der Ferne und bitten dich: O geliebter Gott, habe Mitleid, erbarme dich und kümmere dich um diese leidenden Menschen.

Wir bitten diesen geliebten Gott, der in Jesus Christus zu uns gekommen ist und sein Leben am Kreuz für unsere Erlösung gegeben hat. Wir vertrauen auf ihn. Wir wissen, dass er gesagt hat: „Ich werde bei euch sein alle Tage bis zum Ende der Zeit“.

Wir vertrauen auf Jesus, der unser Leben in seinen Händen hält und uns ein Leben verspricht, das kein Ende hat.

So wünsche ich Ihnen, dass Sie Gottes Segen, seine Liebe und seine Gegenwart in Ihrem Leben wahrnehmen können, und ich bitte ihn, Sie zu segnen:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr erhebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.

Der Friede Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen!

(Übersetzung: Renate Hauerstein, Mission EineWelt)

Die Zusammenarbeit in der weltweiten Kirche ist, insbesondere wenn es um Gelder und Projekte geht, mitunter ziemlich kompliziert.

Manchmal ist es aber auch herrlich einfach.

So wie bei den neuen Kirchendächern für zwei der Kirchengemeinden in der West-Diözese der Evangelisch-Lutherische Kirche in Tansania (ELCT). „Wir sind am Wachsen, bauen selbst neue Kirchen, könnt ihr uns mit den Dachblechen helfen?“ – So simpel lässt sich die schriftliche Antrag auf Unterstützung der ELCT-WD, verfasst von Bischof Jackson Amala Mushendwa und Generalsekretär  Hillary Mwaita zusammenfassen.

West-Diözese der ELCT: Der Rohbau für die Kirche steht und das Dachgerüst liegt bereit. (Foto: ELCT)

West-Diözese der ELCT: Der Rohbau für die Kirche steht und das Dachgerüst liegt bereit. (Foto: ELCT)

Mission EineWelt konnte mit 10.500 EUR helfen. Damit stemmen die einheimischen Christinnen und Christen am Lake Tanganyika immer noch bei weitem den Löwenanteil beim Kirchbau. Die Unterstützung aus Bayern ist aber ein Zeichen für die Eine Kirche in der Einen Welt, die ihre Ressourcen teilt.

Bischof Jackson Amala Mushendwa schrieb:

“Thanks you so much for your hard work. I have received good news with thanks. Thank you so much this support is of great important in building God’s kingdom.”

Und Generalsekretär Mwaita schließt seine Nachricht mit einem Segenswunsch an die Christinnen und Christen in Bayern: „God bless you all“.

Die Western Diocese (WD) der ELCT, gegründet am 9. Oktober 2022, ist eine der jüngsten Diözesen der ELCT. Bischofsitz ist, ganz tief im Westen Tansanias, die Stadt Kigoma direkt am Tanganyika-See. Über  40 Jahre lang war die Gegend für die lutherische Kirche Missionsgebiet und wurde von drei älteren ELCT-Diözesen betreut und unterstützt. Die ersten Gottesdienste wurden von Postbeamten und Bankangestellten, die als Lutheraner dorthin versetzt wurden, ehrenamtlich in den Klassenzimmern von Schulen gehalten. Heute umfasst die ELCT-WD zehn Kirchengemeinden und ist stark am Wachsen.

 

Claus Heim, Tansaniareferent bei Mission EineWelt

Ist eine bessere Welt möglich? Und wenn ja: Wie sieht sie aus? Bei WeltUni und Pluriversum am 19. und 20. April 2024 standen „Utopien für eine nachhaltige Zukunft“ im Mittelpunkt. Nach der Vorstellung bereits vorhandener utopischer Konzepte waren die Teilnehmer*innen gefragt. Sie sollten in Workshops eigene Utopien entwickeln.

Werbung für utopisches Denken: Das Pluriversum im Nürnberger cph, hier mit Alberto Acosta und der Journalistin Sandra Weiß

Werbung für utopisches Denken: Das Pluriversum im Nürnberger cph, hier mit Alberto Acosta und der Journalistin Sandra Weiß (Foto: Thomas Nagel)

Es gibt euphorisierendere Anfänge für Präsentationen: „Die Situation in der Welt verschlechtert sich jeden Tag“, resümierte der Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta, Begründer der „Buenvivir“-Bewegung und ehemaliger Spitzenpolitiker in Ecuador, zum Auftakt des „Pluriversums“ am 19. April 2024 im Nürnberger Caritas-Pirckheimer-Haus. Er meinte Kriege, Umweltkatastrophen, diktatorische Systeme, globale Ungerechtigkeit – ein Blick auf die tägliche Nachrichtenlage genügt, um Acostas Bestandsaufnahme realistisch zu nennen. Was er damit zeigen will: So wie jetzt, nämlich kapitalistisch, profitorientiert und ausbeuterisch gegenüber Menschen und Natur, kann es nicht weiter gehen, wenn die Welt eine bessere werden soll. Auch „reformistische Ansätze“ wie „Green Economy“ und ähnliches sind aus dieser Sicht keine Lösung. Acosta hat zusammen mit anderen Wissenschaftler*innen das Konzept des Pluriversums entwickelt. Dabei geht es um eine Abkehr vom kapitalistischen, marktliberalen System hin zu Formen des Zusammenlebens, in denen die Menschen in Gemeinschaft miteinander und mit der Natur leben, im Bewusstsein, dass es diese Erde nur einmal gibt. Profitorientierung und Egoismen haben darin keinen Platz. „Das Dolce Vita für wenige führt nicht zum Pluriversum“, machte der Wirtschaftswissenschaftler in Nürnberg unmissverständlich klar. Insbesondere die Industrieländer des Globalen Nordens müssten ihre Praxis des Lebens auf Kosten anderer und auf Kosten der Natur grundlegend verändern. Aus der Zusammenarbeit mit seinen Kolleg*innen ist unter dem Titel „Pluriversum“ ein „Lexikon des Guten Lebens für alle“ entstanden. In 110 Artikeln wird nicht nur die Realität analysiert, sondern werden vor allem „transformative Alternativen“ dargestellt, also Entwürfe, wie die Menschen ihr Leben anders und besser organisieren könnten. „Rezepte oder eine Betriebsanleitung, wie eine bessere Welt zu bauen ist“, liefere das Buch nicht, betonte Acosta. Vielmehr, schreibt er in seinem Vorwort, gehe es um „Ausdruck eines Prozesses des permanenten Widerstands und der Emanzipation“. Gemeint ist: Eine einmal entwickelte Lösung muss weder für alle gleichermaßen gelten noch ist sie ein für allemal das Ende der Fahnenstange. Es geht um eine puralistische Diskussion von verschiedenen Konzepten und Ansätzen und um deren ständige Analyse und Weiterentwicklung – wenn sich die Bedingungen und Begleitumstände ändern, oder wenn sich Konzepte als nicht oder nicht mehr tauglich erweisen.

Die Avantgarde des gegenwärtigen utopischen Denkens und Handelns kommt hauptsächlich aus dem Globalen Süden: Alberto Acosta und Sandra Weiß im Gespräche mit der kolumbianischen Soziologin und Aktivistin Marilyn Machado Mosquera (Foto: Thomas Nagel)

Die Avantgarde des gegenwärtigen utopischen Denkens und Handelns kommt hauptsächlich aus dem Globalen Süden: Alberto Acosta und Sandra Weiß im Gespräche mit der kolumbianischen Soziologin und Aktivistin Marilyn Machado Mosquera (Foto: Thomas Nagel)

Viele dieser praktizierten Alternativen, aus denen, wie Acosta und seine Mitstreiter*innen es formulieren, im Kleinen schon „andere Welten“ entstanden sind und entstehen, kommen aus dem Globalen Süden. Die afro-kolumbianische Soziologin Marilyn Machado Mosquera ist eine der Aktivist*innen, die andere Lebensformen entwickeln. Sie ist mit anderen im Kampf um Landrechte und für Mitbestimmung der lokalen Bevölkerung über die Ausbeutung von Ressourcen aktiv. Beim Pluriversum in Nürnberg war sie online dabei. In ihrem Wortbeitrag plädierte sie dafür, „den kapitalistischen, merkantilen Wettbewerb, in dem alles, Gegenstände und Geschöpfe zu Objekten gemacht werden, die einen Preis haben und ge- und verkauft werden können“, in Frage zu stellen. Sie forderte „Anerkennung der gegenseitigen Abhängigkeit und Respekt der verschiedenen Lebensformen“, und die „kritische Aufarbeitung der Geschichte mit ihren hegemonialen Narrativen, die einige Wesen über andere stellen“.

Machte die Sehgnsucht nach einer besseren Welt musikalisch erfahrbar: Grupo Sal (Foto: Thomas Nagel)

Machte die Sehgnsucht nach einer besseren Welt musikalisch erfahrbar: Grupo Sal (Foto: Thomas Nagel)

Im Zusammenspiel mit der Musik der Grupo Sal und der Licht-Performance des Projektionskünstlers Johannes Keitel wurde für den Moment diese andere, gemeinschaftsorientierte und ganzheitliche Form, die Dinge zu betrachten, nicht nur begreifbar, sondern auch, getreu der Absicht der Protagonisten, ein Stück weit erfahrbar.

„Wir müssen einsehen, dass wir nicht nur eine Umweltkrise erleben, sondern eine Zivilisationskrise“, formulierte Alberto Acosta abschließend noch einmal die Dringlichkeit einer grundlegenden Veränderung. „Wir müssen andere Formen des Zusammenlebens entwickeln.“

Utopien im Realitätstest: Elisabeth Voß stellte Initiativen vor, die Ansätze für eine bessere Welt in der Praxis erproben. Viele Informationen dazu gibt es auf ihrer Website http://www.elisabeth-voss.de/ (Foto: Thomas Nagel)

Utopien im Realitätstest: Elisabeth Voß stellte Initiativen vor, die Ansätze für eine bessere Welt in der Praxis erproben. Viele Informationen dazu gibt es auf ihrer Website http://www.elisabeth-voss.de/ (Foto: Thomas Nagel)

Die WeltUni am nächsten Tag begann so, wie das Pluriversum aufgehört hatte. Die Ökonomin ElisabethVoß, Autorin des „Wegweiser solidarische Ökonomie“ und eine der Autor*innen im „Pluriversum“, betonte: „Profitmaximierung ist nicht naturgegeben.“ Sie plädierte für eine solidarische und demokratische „Ökonomie von unten“. Zur Illustration, dass das kein theoretisches Wunschdenken ist, präsentierte sie eine erstaunliche Vielzahl von Projekten und Initiativen, die zeigen, dass etwas anderes möglich ist, als profitorientiertes Wirtschaften: eine Wirtschaft im Sinne der Menschen.

Bis hierhin wurde deutlich: Es könnte klappen mit der anderen Welt, wenn, ja wenn die Menschen mutig sind und ihr Schicksal in die Hand nehmen. Elisabeth Voß brachte es auf den Punkt: „Macht und Herrschaft gibt es nur, wenn es Leute gibt, die sich beherrschen lassen.“

Dann war die aus internationalen Studierenden und Menschen verschiedener Herkunft und aller Altersgruppen bunt zusammengesetzte Gruppe der Teilnehmer*innen der WeltUni, gefragt, in der Workshop-Phase eigene utopische Ansätze zu entwickeln, wie denn eine bessere Welt aussehen müsste. Vorschläge zur Verbesserung gab es zuhauf. Im Workshop „Utopien Klimagerechtigkeit“ forderten die

Hier ging um das drängendste Probelem der Gegenwart: Workshop Klimagerechtigkeit mit Grace Kageni Mbungu (Foto: Thomas Nagel)

Hier ging um das drängendste Probelem der Gegenwart: Workshop Klimagerechtigkeit mit Grace Kageni Mbungu (Foto: Thomas Nagel)

Teilnehmenden unter anderem die Einführung einer Klimasteuer, ausreichende und realistisch kalkulierte Kompensations- und Schadensersatzzahlungen des Globalen Nordens an die Länder des Globalen Südens für dort entstandene und noch entstehende Klimaschäden, die Stärkung und Förderung regionaler Unternehmen und Wirtschaftsstrukturen und den Aufbau resilienter Infrastrukturen in vom Klimawandel besonders betroffenen Regionen. Auf der Suche nach „Utopien für eine Rohstoffwende“ entwickelte sich ebenfalls ein umfangreicher Forderungskatalog von der Reduktion des Verbrauchs, der längeren Nutzung von Produkten und besseren Reparaturmöglichkeiten über einen kostengünstigen und flexibleren öffentlichen Nahverkehr, die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs und die Förderung des Fahrradverkehrs bis hin zu einem starken Lieferkettengesetz mit umfassenden Klagemöglichkeiten und einer weltweit fairen Bezahlung von Arbeiter*innen.

Allerdings bewegten sich diese und andere Vorschläge mehr oder weniger im Rahmen der bekannten politischen Forderungen für eine Verbesserung des Bestehenden. Das Denken vom Ideal her beziehungsweise das von Alberto Costa und den anderen Referent*innen angeregte grundsätzliche Infragestellen des bestehenden kapitalistischen Systems blieb aus. Es scheint, als hätten die neoliberalen Vordenker*innen in den letzten ungefähr 50 Jahren ganze Arbeit geleistet. Ideen zu entwickeln, die etwas anderes als den zur besten erreichbaren Welt stilisierten sozio-ökonomischen Status Quo vor allem der Industrieländer für gut und erstrebenswert befinden, ist auch für engagierte Menschen offensichtlich zu einer höchst schwierigen Übung geworden.

Es könnte klappen mit einer anderen Welt. Aber noch ist sie anscheinend für viele viel zu schön, um wahr zu sein.

 

Weitere Infos:

https://www.agspak-buecher.de/pluriversum

http://www.elisabeth-voss.de/

https://afripoli.org/

https://www.inkota.de/

Konzeptwerk Neue Ökonomie

Am 15. April 2024 referierte der Historiker Hans Rößler über die Geschichte des paramilitärischen Wehrverbands "Bund Reichsflagge", in der auch die damalige Missionsanstalt eine Rolle spielte. (Foto: Thomas Nagel)

Am 15. April 2024 referierte der Historiker Hans Rößler über die Geschichte des paramilitärischen Wehrverbands „Bund Reichsflagge“, in der auch die damalige Missionsanstalt eine Rolle spielte. (Foto: Thomas Nagel)

Der ehemalige Gymnasiallehrer Hans Rößler hat sich mit der historischen Aufarbeitung der Nazizeit in Neuendettelsau als Historiker einen Namen gemacht. In seinem Aufsatz „Waffen in der Missionsanstalt“ zeigt er nun, wie stringent sich Neuendettelsau während der Zeit der Weimarer Republik zu einer Hochburg der Nazis entwickelte. Als Quelle dienten ihm unter anderem die „Erinnerungen“ von Georg Sichert, der Anfang der 1920er Jahre eine Bezirksgruppe des rechtsnationalen bis rechtsextremen Wehrverbands „Reichsflagge“ aufbaute. Am 15. April referierte Rößler bei Mission EineWelt aus seinem Aufsatz.

Sichert beschreibt in seinen Erinnerungen den Aufbau und die weitere Entwicklung der Ortsgruppe Neuendettelsau des fränkischen Wehrverbands „Reichsflagge“, der 1920 in Nürnberg als „Bund Reichsflagge“ vom Reichswehroffizier Adolf Heiß gegründet wurde. Heiß musste wegen des Verbots der nach dem Ende des ersten Weltkriegs entstandenen paramilitärischen Wehrverbände seiner Truppe „Heimatschutzbataillon Heiß“ eine legale Tarnung verschaffen. Unter dem Deckmantel eines für damaliges Erachten harmlosen deutschnationalen und antisemitischen Vereins, habe Heiß „unter konspirativen Bedingungen“ einen „straff organisierten Wehrverband“ aufgebaut, referiert Hans Rößler. Dabei, so der Historiker, habe Heiß auf das Wohlwollen von Heinrich Gareis, in Nürnberg Oberregierungsrat im Polizeidienst und später Polizeidirektor, sowie von Ernst Röhm, damals ebenfalls Offizier der Reichswehr, bauen können. Zudem, so Rößler weiter, habe sich die damalige bayerische Regierung als „Ordnungszelle des Reiches“ bezeichnet. Soll heißen, sie war stramm deutschnational und antidemokratisch und nicht daran interessiert, solche Umtriebe nachhaltig zu ahnden.

Kurz nach der Gründung des „Bundes Reichflagge“ kam der Fischbacher Landwirt Georg Sichert ins Spiel. Er wurde von Heiß beauftragt, im Alt-Landkreis Ansbach eine Bezirksgruppe in Kompaniestärke aufzubauen. Zusammen mit dem damaligem Hilfslehrer Georg Dechant gelang es Sichert ziemlich schnell, die Kompaniestärke von 200 Mann zu erreichen. Einer der drei Züge der Bezirksgruppe hatte seinen Sitz in Neuendettelsau. Dort befanden sich auch zwei Waffendepots und ein größeres Waffenlager.

An verschiedenen Stellen von Sicherts Aufzeichnungen wird deutlich, wie die damalige Missionsanstalt und das Missionsseminar an Aufbau und Betrieb der braunen Kampftruppe beteiligt waren. Zu den ersten Mitgliedern, die in Neuendettelsau gewonnen wurden, zählten junge Missionsseminaristen. Die ersten Versammlungen fanden laut Sichert in einem Schulzimmer des Missionsseminars statt. Ebenfalls frühzeitig dabei im paramilitärischen Vereins war auch der Missionar Adam Schuster. Neben einem zentralen Waffenlager in der Bahnhofstraße befanden sich die weiteren Depots in Schusters Haus und in der Missionsanstalt. Weiter dokumentierte Sichert, dass sich Missionsseminaristen als Blechbläser am ersten „Vaterländischen Abend“ der Ortsgruppe Neuendettelsau beteiligt hatten. Hans Rößler ist sich sicher, „dass die genannten Aktivitäten mit Wissen, ja mit wohlwollender Billigung der Leitung des Missionsseminars stattfanden.“ Seine Begründung: Das „streng autoritäre Regime“, das im Missionsseminar herrschte, habe „nicht nur das Studium, sondern auch das private Leben der Seminaristen unter eine rigide Kontrolle“ gestellt.

Der „Bund Reichsflagge“ beteiligte sich 1923 an der von Hitler initiierten rechtsradikalen „Arbeitsgemeinschaft Vaterländischer Kampfverbände“, wurde aber während des Hitlerputsches im November des gleichen Jahres nicht aktiv. Die bürgerlichen Unterstützer, denen die „Arbeitsgemeinschaft“ dann doch zu radikal oder auch nur zu wenig bürgerlich war, hatten Heiß unter Druck gesetzt, dieses Bündnis zu verlassen. „Zum Missfallen der meisten Mitglieder“, betont Hans Rößler. Danach verlor der „Bund Reichsflagge“ an Mitgliedern und Bedeutung. Im Jahr 1927 wurde er Teil des Frontkämpferbunds „Stahlhelm“ und wurde später mit diesem in die SA eingegliedert.

Die Verbindung der Missionsanstalt mit dem Nationalsozialismus setzte sich bekanntermaßen fort. 1933 traten Missionsdirektor Friedrich Eppelein und der ehemalige Papua-Neuguinea-Missionar und theologische Leiter des Seminars, Christian Keyßer, in die NSDAP ein.

„Die Verstrickungen unserer Vorgängerorganisation in den Nationalsozialismus sind kaum zu ertragen. Wir empfinden Scham und tiefstes Bedauern. Deshalb begrüßen und unterstützen wir die kritische Aufarbeitung dieses dunkelsten Kapitels der Geschichte der Neuendettelsauer Mission. Das ist ein wichtiger Teil unserer Leitsätze. Es ist unser vitales Interesse, daraus Lehren für unsere heutige Arbeit und die gemeinsame Gestaltung der Zukunft mit unseren Partner*innen zu ziehen“, kommentiert Mission EineWelt-Direktorin Gabriele Hoerschelmann den Vortrag von Hans Rößler. „Heute beziehen wir klar Position gegen Rechtsradikalismus, Rassismus und jede Form von Unterdrückung.“

Jürgen Bergmann, Leiter des Referats Bildung Global von Mission EineWelt (Foto: MEW)

Jürgen Bergmann, Leiter des Referats Bildung Global von Mission EineWelt (Foto: MEW)

Es ist ein wegweisendes Urteil, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gestern gesprochen hat. Auf Basis der Europäischen Menschenrechtskonvention entschied das Gericht im Fall der Klage der Schweizer Klimaseniorinnen: Klimaschutz ist Menschenrecht. Für Mission EineWelt, das internationale Partnerschaftszentrum der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, kommentiert Jürgen Bergmann, Leiter des Referats Bildung Global, den Urteilsspruch.

Das Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs macht erstmals offiziell den Klimaschutz zu einer Menschenrechtsfrage. Es könnte eine Initialzündung für weitere Urteile sein, und damit perspektivisch den Druck auf Regierungen weltweit erhöhen, mehr für Klimaschutz zu tun. Auch für die Menschen in den Partnerkirchen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, die teilwiese schon seit Jahren massiv unter dem Klimawandel leiden, steckt somit in diesem Richterspruch eine greifbare Hoffnung.

Das unterstreicht Jürgen Bergmann, Leiter des Referats Bildung Global bei Mission EineWelt: „Klimaschutz ist Menschenrecht! Wo Staaten immer wieder nach Ausreden suchen, kann dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte den Druck erhöhen, sinnvolle Lösungen umzusetzen. Denn die Folgen des globalen Klimawandels sind dramatisch. Auch die Menschen in unseren Partnerkirchen leiden darunter. Die beklagte Schweiz muss nun entschlossener handeln. Wie andere Staaten, auch Deutschland.“

Buen Vivir-Gründer Alberto Acosta (Foto: Gerhard Dilger, Fundacao Rosa Luxemburgo, Sao Paulo)

Buen Vivir-Gründer Alberto Acosta (Foto: Gerhard Dilger, Fundacao Rosa Luxemburgo, Sao Paulo)

Der Wirtschaftswissenschaftler Alberto Acosta ist ehemaliger Minister und Präsident der verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors. Er hat sich intensiv mit Fragen der Wirtschaft und mit Entwicklungspolitik sowie mit Alternativen zu herkömmlichen Herangehensweisen auf diesen Gebieten auseinandergesetzt. Im Interview erklärt der 75-Jährige, was es mit „Buen Vivir“ und „Pluriversum“ auf sich hat.

 

Sie sprechen sich für das Recht auf ein gutes Leben („Buen Vivir“) aus. Was verstehen Sie darunter und wie kann es erreicht werden?

Buen Vivir ist Erleben, nicht eine Theorie oder ein Modell. Es erzählt uns von der Existenz von Werten, Weltanschauungen, Erfahrungen und Praktiken aus indigenen Kulturen in der ganzen Welt, die nicht in die Logik der Moderne passen. Darum sagen wir, dass Buen Vivir keine Entwicklungsalternative darstellt, sondern viel mehr eine Alternative zur Entwicklung.

Buen Vivir spricht zu uns von der Fülle des Lebens; vom Leben im Gleichgewicht des Menschen mit sich selbst, vom Leben des Menschen in Harmonie in seiner Gemeinschaft und auch zwischen Gemeinschaften und vor allem vom harmonischen Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft mit der Natur.

Dieses Buen Vivir aus den indigenen Kulturen kann man nicht kopieren und weltweit übertragen. Aber es gibt uns einige Grundpfeiler. Erstens brauchen wir einen starken Gemeinschaftssinn, zweitens eine sehr tiefe Naturverbundenheit und drittens Beziehungen, die auf Solidarität, Respekt, Gegenseitigkeit und Empathie basieren. Wir sollten andere Menschen als eine Verheißung und nicht als eine Bedrohung betrachten.

 

Was verbirgt sich hinter dem Namen „Pluriversum“ und worum geht es dabei?

„Pluriversum“ sagt uns in sehr einfachen Worten, dass es nicht nur ein einziges Universum gibt, verstanden als eine einzige Art, die Welt zu sehen und zu organisieren. In der heutigen Welt gibt es viele Welten, das heißt, viele Möglichkeiten, das Leben zu verstehen und das Leben anders zu gestalten. Wenn wir also das „Pluriversum“ vorschlagen, denken wir an eine Welt, in der es Platz für viele Welten gibt. Diese sollten aber alle den Menschen wie auch den nichtmenschlichen Lebewesen das Leben in Würde garantieren.

Das bedeutet, dass wir die sogenannten Externalisierungsgesellschaften unterbinden müssen. Wir meinen damit Gesellschaften, die nur auf Kosten von anderen Gesellschaften und der Natur ihr hohes Lebensniveau aufrechterhalten können.

 

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Hindernisse auf dem Weg zu einer gerechteren und nachhaltigeren Welt, und was sind die größten Chancen, dies zu erreichen?

Eines der größten Probleme ist der Glaube, dass es keine Alternativen gibt, und dass es nur eine erstrebenswerte Lebensweise gibt. Ebenso pervers ist es, uns selbst für die Krone der Schöpfung zu halten, während wir in Wirklichkeit zur Krone der Erschöpfung geworden sind. Das Leben als isolierte Individuen, also als Individuen ohne Gemeinschaft, das Ich ohne das Wir, ist ein weiteres großes Hindernis.

Die Möglichkeiten sind überall auf der Welt, aber wir müssen, bildlich gesprochen, stillstehen, um auf die vielen anderen Welten zu hören, die überall auf dem Planeten atmen und handeln. Die Herausforderung besteht darin, diese Lösungen von unten nach oben zu bringen; wir müssen auf allen strategischen Handlungsebenen handeln, von der lokalen bis zur globalen, ohne die Bedeutung der nationalen und regionalen Ebene zu minimieren. Und wir müssen heute und hier handeln, weil wir nicht tatenlos abwarten können, bis die Mächtigen in der Politik und in der Wirtschaft ihre Haltung, ihre Politiken und den Kurs selbst grundlegend ändern.

 

Was ist Ihre persönliche Motivation, warum setzen Sie sich für das Recht auf ein gutes Leben für alle Menschen ein?

Seit meiner Kindheit wurde ich von meinen Eltern gelehrt, nach der Wahrheit zu suchen. Auf diesem Weg habe ich auch gelernt, an all den grandiosen Theorien zu zweifeln, die noch heute einen Schatten auf uns werfen.

Vor mehr als 50. Jahren habe ich in Deutschland studiert. Die Entwicklungstheorien waren für mich ein sehr wichtiges Thema. Meine Entwicklungsziele waren Länder wie Deutschland. Damals war ich fest überzeugt, dass wir uns entwickeln müssten: Entwicklung galt seit Mitte des 20. Jahrhunderts und gilt immer noch als ein globales Mandat. Viele Jahre später, als Professor im Bereich Entwicklungstheorien, habe ich verstanden, dass die Entwicklung ein Gespenst ist. Ich habe auch verstanden, dass Lösungen immer und überall zu finden sind.

Im Übrigen schätze ich immer mehr die gemeinsame Arbeit verschiedener Gruppen von Menschen, die ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen. Wir brauchen mehr und mehr Brücken zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden. Gemeinsam müssen wir Alternativen zur Lösung der Probleme finden und aufbauen.

Meine fünf Enkelkinder sind zweifelsohne ein weiterer Anker für mein Engagement, für meine Hoffnung, für meine Zuversicht, dass wir Menschen wie Geschwister leben können, in Einklang mit unserer Mutter Erde.

 

Interview: Gisela Voltz