Der Ton war fast flehentlich: „Behaltet unsere Gesichter im Kopf, denn wir tragen die Konsequenzen“, „Bitte hören Sie weiterhin zu, und vergessen Sie unsere Stimmen nicht, denn wir sind die Zukunft“, „Ihr tut sehr viel Positives. Das ist nicht so leicht. Wir wissen das zu schätzen. Bleibt dran“ – so lauteten die Appelle der rund 100 Schüler*innen aus der Berufsschule B7, der beruflichen Oberschule Nürnberg und dem Johannes Scharrer-Gymnasium an die anwesenden Vertreter*innen aus Politik und Wirtschaft bei der Abschlussveranstaltung des von Mission EineWelt und der Energie- und Umweltstation der Stadt Nürnberg gestalteten Projekts „Nachhaltig wirtschaften – Miteinander die Welt gestalten“ am 6. Dezember 2024 auf dem ehemaligen AEG-Gelände in Nürnberg. Die Statements der Schüler*innen hätten wahrlich strenger ausfallen können. Es gab sogar ein „Danke für Eure jugendlichen Denkweisen. Das ist ein sehr gutes Vorbild für uns.“
Vor der Abschlussdiskussion hatten sich die Schüler*innen an zwei Projekttagen intensiv mit den Themen Lieferkettengesetz, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Agrarpolitik und Klimaschutz auseinandergesetzt. Dabei spannten sie einen weiten Bogen: Sie beschäftigten sich einerseits mit der Umsetzung auf regionaler und kommunaler Ebene und andererseits aber auch damit, wie soziale und ökologische Standards weltweit verwirklicht werden können.
Mit den Schüler*innen diskutierten die Umweltreferentin Stadt Nürnberg, Britta Walthelm, Patric Kügel von der Fair Toys Organisation, der EU-Parlamentarier Christian Doleschal (CSU), Oliver Baumbach von der Industrie- und Handelskammer Nürnberg für Mittelfranken, Cornelia Trinkl, Schulreferentin der Stadt Nürnberg, der Nürnberger Landtagsabgeordnete Arif Tasdelen (SPD), die Nachhaltigkeitsbeauftragte der Messe Nürnberg, Tanja Rätsch, und Kreisbäuerin Birgit Kretschmann von den Landfrauen Nürnberg Stadt.
Bevor die Schüler*innen und die Vertreter*innen von Wirtschaft und Politik ihre jeweiligen Schluss-Statements formulierten, wurde in wechselnden Kleingruppen diskutiert. Dabei wurde deutlich: Nachhaltig Wirtschaften wollen irgendwie alle. Aber wie das am besten gehen soll, und was am meisten nachhaltig ist – darüber wird teils äußerst kontrovers diskutiert. Oliver Baumbach kritisierte in der Diskussion mit den Schüler*innen das deutsche Lieferkettengesetz als zu bürokratisch vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen. Insbesondere die Berichtspflicht sei insofern wirkungslos, als die in den Berichten enthaltenen Informationen zur Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte nicht unbedingt valide seien. Zudem würden Wirtschaftsprüfer nur prüfen, ob der Bericht vorliegt. Die IHK, berichtete Baumbach, habe nun eigene Prüfer engagiert und würde Verstöße gegen das Lieferkettengesetz mit Abmahnungen ahnden. Dass die Unternehmen und ihre Verbände es jahrelang versäumt hatten, eine eigene freiwillige Regelung zur Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte entlang ihrer Lieferketten zu etablieren, und sich, als die Politik schließlich aktiv wurde, massiv gegen die Einführung eines – für sie unbürokratischen – entsprechenden Straftatbestandes gewehrt hatten, erwähnte er nicht. Bei aller Kritik plädierte Baumbach dagegen, das deutsche Lieferkettengesetz auszusetzen. Dieses werde ja ohnehin durch die europäische Lieferkettenrichtlinie ersetzt. Zudem hätten sich die Unternehmen inzwischen darauf eingestestellt. Das aus seiner Sicht wichtigste Ziel, das in Sachen Nachhaltigkeit erreicht werden müsse, sei ein Wertewandel. Die Menschen müssten Nachhaltigkeit als Wert anerkennen, „nicht berichten, sondern leben“, forderte Baumbach.
Christian Doleschal meldete gegenüber den Schüler*innen Zweifel an, ob Europa bis 2030 klimaneutral werden könne. „Selbst 2050 ist schwierig genug“, sagte der CSU-Politiker. Am europäischen Green Deal sei vieles gut, vieles müsse aber auch noch mal gecheckt werden. Auf die Frage, ob Atomenergie grün sei, antwortete er differenziert. Diese sei CO2-neutral. Ob sie nachhaltig sei, wolle er nicht beantworten. Aber das Argument „Kernkraft statt Kohle“ könne er nachvollziehen. Für die Zukunft könnten aus seiner Sicht derzeit in den USA erprobte kleine AKW sein, die mit Atommüll betrieben würden. „Es ist wichtig, dass wir die Forschung aufrecht erhalten“, meinte er.
Patric Kügel von der Fair Toys Organisation, die sich für faire Arbeitsbedingungen in der Spielzeugproduktion einsetzt und ein entsprechendes Siegel vergibt, forderte von der Politik, das jetzt umzusetzende europäische Lieferkettengesetz nicht einzustampfen, sondern möglichst weitreichend anzuwenden, denn dann müssten Unternehmen ihre Lieferketten transparent machen und Risiken benennen bzw. bei Verstößen gegen Menschenrechte und Umweltstandards dafür haften. Unternehmen, die jetzt schon „saubere“ Lieferketten haben, hätten davon auch Vorteile. Außerdem sei es sehr wirkungsvoll, wenn Kund*innen bei Anbietern immer wieder nach fairen Löhnen und der Einhaltung von Umweltvorschriften nachfragten. Überhaupt sei der Druck aus der Zivilgesellschaft sehr wichtig und spiele eine nicht zu unterschätzende Rolle auf dem Weg zu weltweit guten Arbeitsbedingungen und umweltschonender Produktion.
Zufrieden mit der Diskussion waren am Ende alle. Die Schluss-Statements der Gäste aus Politik und Wirtschaft lauteten zusammengefasst „Bringt Euch ein und engagiert Euch – privat, zivilgesellschaftlich und beruflich.“ Wer will kann in den Statements der Schüler*innen zwischen den Zeilen die gleiche Aufforderung an Politik und Wirtschaft lesen.
Angesichts der Weltlage bleibt zu hoffen, dass dieses Engagement in Politik und Wirtschaft dann wirklich auf fruchtbaren Boden fällt. Alles andere wäre fatal.