Über 80 Teilnehmende kamen am vergangenen Samstag, 21.11.2015, im Haus Eckstein in Nürnberg zu einem ökumenischen Studientag zusammen.
Mission EineWelt und missio München hatten gemeinsam eingeladen, sich über die Situation in Tansania im Rahmen eines sogenannten „Perspektivwechsels“ auszutauschen. Die Veranstaltung thematisierte unter anderem die Wahlen in dem afrikanischen Land, die verschobene Verfassungsreform sowie die Frauenförderung und Frauenrechte.
Bereits im Einstiegsvortrag konkretisierte Manfred Scheckenbach, Tansania-Referent von Mission EineWelt, die politische Lage in Tansania. Das Land hat seit der Wahl Ende Oktober einen neuen Präsidenten. Dr. John Magufuli von der Regierungspartei Chama Cha Mapinduzi (CCM) wurde von der Wahlkommission zum Staatsoberhaupt des ostafrikanischen Landes erklärt. Der Wahlausgang in Tansania ist allerdings umstritten, denn die Opposition erkennt das Ergebnis nicht an und spricht von Wahlbetrug. Auf der zu Tansania gehörenden Insel Sansibar wurden die Wahlen für einen eigenen Präsidenten sowie für die Abgeordneten des lokalen Parlaments für ungültig erklärt. Auch Wahlbeobachter der EU kritisierten fehlende Transparenz bei der Stimmenauszählung. „Bei der Regierungsbildung geht es nun darum, die Einheit der Nation und den Frieden zu betonen“, so Scheckenbach.
Tiefe Risse hat darüber hinaus der Verfassungsreformprozess, der durch den ehemaligen Präsidenten Jakaya Kikwete Anfang 2012 angestoßen wurde, in den vergangenen Monaten durch die tansanische Gesellschaft gezogen. Das ursprünglich für Ende April 2015 geplante Verfassungsreferendum wurde von der Regierung in letzter Minute verschoben und steht nun – nach weiteren Terminverschiebungen – weiterhin aus. Die Gründe dafür legte Pfarrer Weston Mhema bei der Veranstaltung in Nürnberg dar. „Zu Unstimmigkeiten innerhalb der Regierung, der Kirchen und der Gesellschaft führte vor allem die Diskussion darüber, welche Regierungsform die neue Verfassung festlegen soll“, so der Theologe.
Von der Regierungspartei Chama Cha Mapinduzi (CCM) und weiteren Sprechern wird das bisherige Modell der Doppelregierung von Tansania-Festland und Sansibar favorisiert. Dabei gibt es 2 Parlamente, 2 Präsidenten, 2 Verfassungen, 2 Nationalflaggen und 2 Nationalhymnen. Der vorliegende Verfassungsentwurf hatte jedoch eine grundsätzliche Neustrukturierung der staatlichen Union zwischen dem Festland und dem teilautonomen Sansibar in Gestalt eines übergeordneten Einheitsstaates mit zwei gleichwertigen föderalen Einheiten vorgesehen. Die Kompetenzen der Unionsregierung wären dabei auf einige Bereiche beschränkt: Außenbeziehungen, Sicherheit und Verteidigung, Staatsbürgerschaft und Migration, Parteienwesen, Finanzen und Banken, Steuerverwaltung. Protestiert hatten die Kirchen gegen die Abstimmung im April darüber hinaus vor allem wegen der intransparenten und illegitimen Enstehungsweise des Entwurfs, der zwar positive Elemente enthält, jedoch nationale Werte und Menschenrechte vernachlässigt. Wesentliche Forderungen wie ein Ethik-Katalog für Staatsangestellte, die Abwahl unfähiger Abgeordneter, eine Einschränkung der Macht des Präsidenten, sowie eine klare Trennung von Legislative, Exekutive und Konsikutive wurden darin nicht berücksichtigt. Dafür sah der Entwurf vor, muslimische Kadi-Gerichte auf dem Festland Tansanias einzuführen. In Sansibar sind diese Gerichte seit 1985 Teil des Rechtssystems und zuständig für Meinungsverschiedenheiten unter muslimischen Gläubigen. „Es bleibt nun abzuwarten, wie die Regierungsbildung zwischen Tansania und Sansibar weiter voranschreitet. Sansibar ist ein muslimischer Teilstaat. Religiöse und ethnische Konflikte werden immer wieder produziert.“, stellte auch Albert Moshi, Umweltwissenschaftler aus Berlin, in seinem Vortrag fest.
Neben Diskussionen zur politischen Lage wurde der Blick während der Veranstaltung auch auf die Situation der Frauen in Tansania gerichtet. Luciana Borgna, Tansania-Referentin von missio München stellte Projekte zur Förderung von Frauen und zur Eindämmung von Gewalt an Frauen vor. In den Diözesen Musoma und Bunda setzt sich das katholische Missionswerk für die Gendergerechtigkeit ein: in einem Programm gegen weibliche Genitalverstümmelung in Musoma, in einem Programm gegen geschlechtsspezifische Gewalt und bei Programmen gegen Menschen- und Frauenhandel. Während junge tansanische Männer Gefahr laufen, eine leichte Beute von fanatischen Gruppen zu werden, ist für die jungen Frauen die Gefahr groß, Opfer von Menschenhandel zu werden. Oft sind es Verwandte in der nächsten größeren Stadt, die ihre Nichten aus den Dörfern holen, mit dem Versprechen ihnen eine gute schulische Ausbildung anzubieten. Wenn die Mädchen erkannt haben, welches Schicksal sie erwartet, ist es oft zu spät. In einigen Fällen kann aber die Kirche einen Zufluchtsort und rechtlichen Beistand anbieten. Durch Aufklärungsseminare werden in Tansania Familien auf diese Gefahr aufmerksam gemacht.