Während das Weihnachtsgeschäft mit dem auf intensiven Konsum ausgerichteten Black Friday startet, veröffentlicht die Multi-Stakeholder-Initiative Fair Toys Organisation (FTO) mit ihrem „Fair Performance Check“ einen Standard, der menschenrechts- und umweltbewusstes Einkaufen von Spielwaren ermöglichen soll.

Der Fair Performance Check ist eine Liste von Kriterien die bei der Einschätzung helfen, ob Spielzeughersteller ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachkommen und die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards in ihren Lieferketten sicherstellen. Am Ende des im Jahr 2023 erstmals anzuwendenden Checks erhalten besonders gut bewertete Unternehmen ein Siegel, das Kund*innen im kommenden Jahr an Produkten finden können. Bereits jetzt veröffentlicht die FTO Informationen zum Nachhaltigkeitsprofil ihrer derzeit 17 Mitgliedsunternehmen in den Unternehmensprofilen auf www.fair-toys.org.

In der FTO arbeiten Akteur*innen aus der Spielwarenbranche und der Zivilgesellschaft zusammen, um die Sozial- und Umweltstandards in der Spielwarenproduktion zu verbessern und ein glaubwürdiges Siegel für verantwortungsvoll hergestelltes Spielzeug zu entwickeln. Denn immer wieder kommt es insbesondere bei Zulieferern aus dem Ausland zu Arbeitsrechtsverletzungen und/oder zu Gesundheitsgefährdungen bei Arbeiter*innen, die Spielwaren herstellen.

Enge Verbundenheit mit Mission EineWelt. Hanns Hoerschelmann (l.) beschenkt Hermann Vorländer (m.) und Brita Kroner (r.) im Andachtsraum von Mission EineWelt. Gertraud Saemann konnte aus gesundheitlichen Gründen leider nicht dabei sein.

Enge Verbundenheit mit Mission EineWelt. Hanns Hoerschelmann (l.) beschenkt Hermann Vorländer (m.) und Brita Kroner (r.) im Andachtsraum von Mission EineWelt. Gertraud Saemann konnte aus gesundheitlichen Gründen leider nicht dabei sein.

Sie sind seit Jahrzehnten eng mit Mission EineWelt verbunden und feierten im November 2022 runde Geburtstage: Gertraud Saemann (85), Brita Kroner (80) und Hermann Vorländer (80) wurden am 23. November in einer Andacht mit anschließendem Empfang bei Mission EineWelt gewürdigt und gefeiert.

Brita Kroner arbeitete von Ende der 1960er Jahre bis 1975 als Lehrerin in Papua-Neuguinea tätig, Gertraud Saemann von 1967 bis 1972 in Brasilien, Hermann Vorländer war unter anderem von 1992 bis 2007 Direktor des Missionswerks Bayern und als solcher maßgeblich an der Fusion des Missionswerks mit dem Kirchlichen Entwicklungsdienst Bayern und der Stelle der*des Lateinamerikabeauftragten zum heutigen Partnerschaftszentrum Mission EineWelt beteiligt.

Mission EineWelt-Direktor Hanns Hoerschelmann würdigte die enge Verbundenheit der Jubilar*innen mit Mission EineWelt. Brita Kroner engagiere sich im Weltladen Neuendettelsau und im Verein Kultur Neuguinea und Gertraud Saemann begleite auch heute noch Menschen, die sich, ausgesendet von Mission EineWelt, auf ihre Ausreise vorbereiten. Hermann Vorländer sei unter anderem als Autor, im Heimat- und Geschichtsverein Neuendettelsau und im Löhe-Zeit-Museum aktiv, vor allem aber auch ein wichtiger Begleiter der Arbeit von Mission EineWelt.

„Du hast gute Spuren für uns gelegt“, würdigte Hanns Hoerschelmann seinen Vorvorgänger Hermann Vorländer als „großes Vorbild“. Vorländers Maxime „Freiheit und Beweglichkeit“ sei für Hoerschelmann auch heute noch ein wichtiger Gedanke, den er zusammen mit seiner Frau und Mit-Direktorin Gabriele Hoerschelmann in der Leitung von Mission EineWelt weiterhin umzusetzen versuche. Vorländers im Erlanger Verlag erschienenes Buch „Kirche in Bewegung“ nehme er jedes Mal in die Hand, wenn er etwas über die Mission in Bayern nachschlagen müsse.

Gabriele Hoerschelmann (l.) bei der Konsultation der Pfarrerinnen und Theologiestudentinnen der ELCT in Njombe, Tansania

Gabriele Hoerschelmann (l.) im Oktober 2022 bei der Konsultation der Pfarrerinnen und Theologiestudentinnen der ELCT in Njombe, Tansania (Foto: Claus Heim)

In einem Gastbeitrag im Sonntagsblatt äußerst sich Mission EineWelt-Direktorin Gabriele Hoerschelmann zur Frage „8 Milliarden Menschen, hält die Erde das aus?“. Es sei „der christliche Anspruch, dass ‚alle das Leben und volle Genüge haben‘, zitiert Hoerschelmann Johannes 10,11. Ihre Folgerung: „Entwicklung kann für uns Kirchen daher nicht heißen, ein paar bekommen immer mehr.“ Vielmehr müsse es „um eine gerechte Verteilung“ gehen, betont die Theologin.

Den ganzen Beitrag können Interessierte hier nachlesen:

https://www.sonntagsblatt.de/artikel/gesellschaft/8-milliarden-menschen-haelt-die-erde-das-aus-mission-einewelt-direktorin

„Casa Esparanza – Haus der Hoffnung“ heißt das unscheinbare Gebäude in der Nähe der zentralen evangelischen Kirche in El Salvador. An vier Tagen in der Woche gibt es hier ein warmes Mittagessen und außerdem die Möglichkeit, seine Wäsche zu waschen und sich zu duschen. Um die 60 Menschen finden sich jeden Tag in der Casa Esperanza ein, sie werden freundlich und respektvoll empfangen von Koordinatorin Emely Chavez, Pfarrerin und Krankenschwester, und ihrem Team. Was das Team über die Lebensrealität seiner Besucher mitteilt, geht unter die Haut: Vier junge Männer bekommen vermittelt über Emely Chavez eine Stelle auf dem Bau, doch das reicht finanziell zunächst nicht dafür, dass sie sich ein Zimmer mieten können. Sie schlafen weiter unter der Brücke, holen sich jede Woche ein Essenspacket in der Casa Esperanza und sind jeden Tag pünktlich bei der Arbeit. Ein älterer Mann kommt in die Casa Esperanza, und für ein paar Tage verwandelt sich ein Nebenraum für Tage und Stunden in ein Hospiz.
Einmal in der Woche wird im „Haus der Hoffnung“ zusammen Gottesdienst gefeiert, einmal im Monat bietet die Casa Esperanza ihren Besucher*innen die Möglichkeit, einen Arzt zu sehen.  Jeden Tag ist Zeit und Raum, um sich in der Casa Esperanza aufzuhalten, andere Menschen zu treffen, sich mit Emely Chavez und ihrem Team zu unterhalten und vielleicht zu entdecken, dass sich eine Tür öffnet.

Die Casa Esperanza wird seit vielen Jahren von Mission EineWelt unterstützt, über Spenden für Nahrungsmittel und für die Instandhaltung der Räumlichkeiten.

Kerstin Schönleben

Mit wichtigen Vereinbarungen endete am 10. November 2022 das sechste Partnerschaftstreffen mit dem Titel „Gib mir deine Hand, möge der Herr unseren Glauben stärken und unseren Weg segnen“, zu dem die Salvadorianische Lutherische Kirche (Sínodo de las Iglesias de Confesión y Rito Luteranos, SLS) ihre Partnerkirchen eingeladen hatte.

Nach einem dreitägigen Treffen und Besuchen in den Gemeinden Najapa und Fe y Esperanza wurde eine „Karte der Verständigung“ miteinander verfasst und verabschiedet, in der Vereinbarungen, aber auch gemeinsame Aufgaben für die nächsten drei Jahre zusammengefasst sind. Das nächste Partnerschaftstreffen wird im Jahr 2025 stattfinden.

Alle programmatischen Arbeitsbereiche wie auch die Arbeit in den fünf Mikroregionen, die in etwa Dekanaten entsprechen, werden mit ihren Zielsetzungen in der „Karte der Verständigung“ widergespiegelt. Unter anderem geht es um nationale und internationale Austauschprogramme sowie um die Förderung der Menschenrechte, insbesondere für Frauen, Migranten, Jugendliche und Kinder sowie andere gefährdete Gruppen.

Die salvadorianische Kirche lutherischen Bekenntnisses pflegt Partnerschaften mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Finnland, mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, mit vier Kirchenkreisen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in den Vereinigten Staaten sowie mit der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien.

Zu Gast waren auf dem Partnerschaftstreffen etwa 25 Delegierte aus den Partnerkirchen. Alle Mikroregionen und programmatischen Arbeitsbereiche waren während des gesamten Treffens durch Verantwortliche und  Delegierte vertreten, so dass sich eine intensive Arbeitsatmosphäre mit vielen wertvollen informellen Momenten in den Pausen und an den Abenden ergab.

Kerstin Schönleben

„Ich fühle mich gut aufgehoben“, sagte Manfred Kurth zum Abschluss seiner offiziellen Einführung als Leiter des Referats Begegnung Weltweit bei Mission EineWelt am 5. November 2022 im Heilsbronner Münster. Wenn er das sagt, hat das eine Tiefe, die auch in Jahren quantifiziert werden kann: 27, mindestens.

Angekommen in seinem Arbeitsumfeld ist Kurth längst. Und auch die neue Rolle hat er schon geübt. Überhaupt könnte der Werdegang des Theologen auch gut unter der Überschrift „Kontinuität im Wandel“ firmieren. Der 63-Jährige hat bereits am 1. Juni dieses Jahres als Nachfolger von Reinhild Schneider die Leitung des Referats Partnerschaft und Gemeinde übernommen, das dann im Rahmen eines Umstrukturierungsprozesses bei Mission EineWelt ins Referat Begegnung Weltweit überging, dessen Leitung er seit 1. September innehat. Kurth war aber schon vorher im Referat Partnerschaft und Gemeinde tätig: Seit Februar 2004 leitete er die Regionalstelle Süd.

Und vorher? – War Manfred Kurth von Ende 1995, also etwas mehr drei Jahre nach seiner Ordination als Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern im Juni 1992, Pfarrer in der kenianischen Kirchengemeinde Malindi. Die Stelle teilte er sich mit seiner Frau Sabine. Ausgesendet wurde das Ehepaar vom Missionswerk Bayern, der Vorgängerorganisation von Mission EineWelt.

„Ziel deiner Arbeit mit Menschen, die sich in der internationalen kirchlichen Partnerschaft engagieren war, dass sie dies reflektiert und informiert tun“, attestierte Mission EineWelt-Direktor Hanns Hoerschelmann dem neu eingeführten Referatsleiter. Kurth wolle dabei „Interesse für die Vielfältigkeit der Kulturen erwecken, aber auch die kritischen Fragen“ beispielsweise nach Kolonialismus und Rassismus oder versteckten Abhängigkeiten in Partnerschaften „nicht ausblenden“. Bei aller Kontinuität gehe es Manfred Kurth „nicht um ein Einfach-weiter-so, sondern um eine Weiterentwicklung von Arbeitsfeldern, die nun im Referat Begegnung Weltweit zusammengefasst sind“, sagte Hoerschelmann mit Blick auf die Zukunft.

In diese blickt Manfred Kurth mit Optimismus und Begeisterung: „Meine Arbeit bei Mission EineWelt gefällt mir total gut, weil ihr keine Angst habt, Menschen zu begegnen, die anders sind“, schloss er seine Einführungspredigt. „Durch uns und unser Engagement vereinigt sich nichts weniger als die weltweite Kirche in Christus.“

In der aktuell mit viel Verve geführten Debatte um Kolonialismus und Mission, Restitution und – vor allem – Rassismus und Diskriminierung muss sich auch die Mission angesprochen fühlen. Fest steht: Die Reflexion der eigenen Geschichte fördert – euphemistisch ausgedrückt – nicht nur eitel Sonnenschein zu Tage, sondern – wenigstens aus heutiger Sicht – auch Abgründe. Das ist nicht angenehm, aber dennoch ist dieses Nachdenken wichtig, will die Mission nicht zum Fossil von gestern versteinern, sondern eine aktive und mithin selbstbestimmte Rolle in den aktuellen Diskursen spielen. Vor diesem Hintergrund war es folgerichtig, dass sich die Jahrestagung zu Partnerschaft, Entwicklung und Mission dem Thema „Postkoloniale Partnerschaft“ widmete.

Foto: Christian Pfliegel

Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist das eine, und für Menschen, die sich mit der Arbeit der Mission identifizieren, schmerzhaft genug. Noch mehr an die Substanz der eigenen Selbstwahrnehmung geht die aktuelle Diskussion um Rassismus und Diskriminierung im Hier und Jetzt. „Ich steige manchmal aus. Ich komme da einfach nicht mehr mit, das wird mir zu komplex“, machte eine Teilnehmerin der Jahrestagung ihrem inneren Dilemma Luft. „Menschen, die anders aussehen, möchte ich fragen, wo sie herkommen. Die interessieren mich. Aber ich habe dauernd Angst, etwas falsch zu machen. Doch dann reden wir nicht mehr miteinander, und die Gräben werden wieder tiefer.“ Vorausgegangen war dieser pointierten Problemanalyse die Lesung der Theologin und Religionspädagogin Sarah Vecera aus ihrem Buch „Wie ist Jesus weiß geworden?“ zum Auftakt der Jahrestagung. Die Lesung und die anschließende Diskussion setzten die grundsätzliche Ambivalenz der gegenwärtigen Rassismus-Debatte punktgenau in Szene.

Auf der einen Seite arbeitete Vecera, stellvertretende Leitung der Abteilung Deutschland und Bildungsreferentin mit dem Schwerpunkt „Rassismus und Kirche“ bei der Vereinigten Evangelischen Mission (VEM), klar heraus, dass in Deutschland „Kirche nicht von allen Menschen als sicherer Ort“ gesehen wird. Wer nicht zur weißen heterosexuellen Mittelschicht gehöre, also beispielsweise in Sachen Bildung, sexueller Orientierung, Herkunft oder Hautfarbe von der Norm abweiche, müsse sich seinen Platz in der Kirche hart erkämpfen. In der Partnerschaftsarbeit sieht die Theologin aus Kolonialzeiten tradierte, im Verborgenen manifestierte rassistische Muster. Solche würden unter anderem in Diskussionen um kulturelle Unterschiede mitschwingen, in Sätzen wie „die haben das im Blut“. Eine weitere Projektionsfläche für rassistische Stereotype sei die ungleiche ökonomische Situation in Nord-Süd-Partnerschaften, in der auch koloniale und paternalistische Grundhaltungen beziehungsweise Minderwertigkeitsgefühle mitschwingen. Veceras ernüchterndes Fazit: „Es gibt keinen rassismusfreien Raum. Wir sind alle von Rassismus betroffen, die einen bevorteilt, die anderen benachteiligt.“

Also lieber nicht mehr reden mit People of Colour oder mit queeren Menschen beziehungsweise potenziell heikle Fragen oder Themen aus dem Diskurs verbannen – wie es die Teilnehmerin als mögliche und gleichzeitig ja auch unmögliche, weil destruktive Konsequenz pointiert in den Raum gestellt hatte?

Es gibt noch die andere Seite: Die Antwort von Sarah Vecera eröffnete eine Perspektive für eine Praxis des Dialogs: „Ich bin gegen Sprechverbote.“ Es gebe kein Verbot, „die Frage“ – also beispielsweise die nach der Herkunft – zu stellen. Das sei „kontextabhängig“? Die entscheidende Frage lautet aus Sicht der Theologin: „Wie können wir heilsam miteinander in den Dialog kommen?“ Und sie formulierte eine Aufgabe: „Wir müssen lernen, nur die Tatsachen anzuschauen, ohne einander zu verurteilen.“

Mit der Frage, wie der Weg zu einer dekolonisierten Partnerschaft aussehen könnte befassten sich die Referentinnen Claudia Buess, Studienleiterin bei Mission 21, und Regene Lamb, Pastorin der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB) und derzeit als Teaching Preaching-Gast von Mission EineWelt überall in Bayern unterwegs.

Regene Lamb arbeitete heraus, wie tiefgehend kolonialistische Einstellungen im Denken der Menschen verankert sind. Die Menschen seien „alle in eine Kolonialität des Wissens eingetaucht. Diese bringe sie dazu, „zu akzeptieren, dass es keine anderen Formen des Denkens, der politischen Theorie, der Wirtschaftspolitik, der Ontologie, der Wissenschaft“ gebe, als die der Kolonialiat*innen, formulierte sie in Anlehnung an den argentinischen Theoretiker Walter D. Mignolo und ergänzte die von Frantz Fanon vertretene These, wonach die Kolonisierten irgendwann selbst damit anfangen, ihre eigenen Wertesysteme und ihre Kultur als unterlegen oder minderwertig zu betrachten.

Ein klares Rezept für einen Weg aus dieser Situation sieht Lamb nicht. Im Gegenteil wäre das aus ihrer Sicht schon wieder koloniales Denken. „Wir müssen Unsicherheit aushalten“, propagierte die brasilianische Theologin ein Vorgehen jenseits vermeintlicher Gewissheiten.

Eine Erfolgsformel für dekolonisierte Partnerschaft hatte auch Claudia Buess nicht im Gepäck, die in ihrem Vortrag die Geschichte der Basler Mission mit ihrem ambivalenten Verhältnis zu den Kolonialherren aufzeigte. Aber neben der „selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte von Mission und Kolonialismus“ als „erstem Schritt“ erteilte auch sie der Dominanz der „eurozentristischen Perspektive“ eine Absage: „Wir müssen uns unserer eigenen Privilegien bewusst werden und sind herausgefordert, unsere ökonomischen Strukturen hinsichtlich ihrer Auswirkungen zu hinterfragen.“ Wichtig sei es, auf „Stimmen aus den Partnerkirchen und -ländern zu hören“.

Bei aller Unsicherheit und der Notwendigkeit permanenter Reflexion: Immerhin, so Lamb, „können wir als christliche Gemeinschaft diesen Weg gemeinsam gehen.“ Oder, wie Sarah Vecera es formulierte: „Eine andere Kirche ist nicht unmöglich, sie ist auf dem Weg.“

Nach einem hochdramatischen Kopf-an-Kopf-Rennen steht jetzt das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Brasilien fest. Der Herausforderer und frühere Präsident Lula da Silva hat den aktuellen Amtsinhaber Jair Bolsonaro denkbar knapp mit 50,9 zu 49,1 Prozent der Stimmen besiegt. „Lulas Wahlsieg gegen Bolsonaro ist von großer Bedeutung“, sagt Geraldo Grützmann, Brasilienreferent von Mission EineWelt, „nicht nur für Brasilien, sondern weltweit.“

Für Geraldo Grützmann war die Nacht zum 31. Oktober kurz. Minutiös hat der brasilianische Theologe den Verlauf der Stimmenauszählung bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien verfolgt und ist dabei durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen. „Zwischenzeitlich hatte ich große Angst, dass es doch nicht für Lula reichen könnte“, bekennt er. Lula übernahm erst im letzten Drittel der Auszählung die Führung. Bis etwa 70 Prozent der Stimmen ausgezählt waren, lag Amtsinhaber Bolsonaro vorne. „Jetzt ist die Erleichterung groß“, freut sich Grützmann. „Vier weitere Jahre mit Bolsonaro als Präsident wären eine Katastrophe gewesen.“ Nach Einschätzung des Brasilienreferenten von Mission EineWelt hätte eine Fortsetzung der Ära Bolsonaro insbesondere für den Amazonasregenwald „das Ende“ bedeutet.

Doch ein Unterschied von etwa zwei Millionen Stimmen ist bei fast 120 Millionen abgegebenen gültigen Stimmen nicht groß. „Das Ergebnis zeigt, wie stark die brasilianische Gesellschaft polarisiert ist“, sagt Grützmann. Zudem hat Lulas Partido dos Trabalhadores (PT) keine Mehrheit in Kongress und Senat. Es werde also für Lula „nicht einfach, dieses Land zu regieren“, prognostiziert der Theologe. Dennoch überwiegt die Hoffnung, dass Lulas angekündigter Kurs der Versöhnung erfolgreich sein wird. Grützmann meint: „Es kommt jetzt viel auf die ersten Monate an.“ Wenn in dieser Zeit der Eindruck entstehe, es ginge nichts voran, könne die Stimmung im Land kippen. Wichtig werde vor allem sein, dass Lula es schafft, beim Umwelt-/Klimaschutz und in der Sozialpolitik Mehrheiten zu bilden und Veränderungen auf den Weg zu bringen.

Auf einem guten Weg sieht Geraldo Grützmann die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (Igreja Evangélica de Confissão Luterana no Brasil, IECLB), die in der Frage „Lula oder Bolsonaro?“ ebenso gespalten war wie die brasilianische Gesellschaft insgesamt: „Die Erleichterung in der IECLB ist groß. Die Kirchenleitung hat einen Versöhnungsprozess begonnen“, erklärt er. Bis jetzt habe dieser Prozess durch „Gegenwind aus der Bolsonaro-Regierung gelitten. Letzteres werde jetzt nicht mehr der Fall sein. „Die Versöhnung wird leichter“, meint der Theologe.

Doch zunächst lautet die entscheidende Frage: Wird Bolsonaro das Wahlergebnis anerkennen? „Ich habe bisher mehr Bolsonaro-Anhänger*innen gesehen, die zwar enttäuscht waren, aber das Wahlergebnis nicht in Frage gestellt haben. Das macht mir Hoffnung“, sagt Grützmann. Zudem seien viele, die sich zu Bolsonaros Zeiten „zurückgezogen“ hätten, „jetzt auf die Straße gegangen“. Es herrsche „eine ganz andere Stimmung“. Aber: „Wenn Bolsonaro jetzt mit der Botschaft, Lulas Sieg sei Wahlbetrug gewesen, an die Öffentlichkeit geht, kann es gefährlich werden.“