In der aktuell mit viel Verve geführten Debatte um Kolonialismus und Mission, Restitution und – vor allem – Rassismus und Diskriminierung muss sich auch die Mission angesprochen fühlen. Fest steht: Die Reflexion der eigenen Geschichte fördert – euphemistisch ausgedrückt – nicht nur eitel Sonnenschein zu Tage, sondern – wenigstens aus heutiger Sicht – auch Abgründe. Das ist nicht angenehm, aber dennoch ist dieses Nachdenken wichtig, will die Mission nicht zum Fossil von gestern versteinern, sondern eine aktive und mithin selbstbestimmte Rolle in den aktuellen Diskursen spielen. Vor diesem Hintergrund war es folgerichtig, dass sich die Jahrestagung zu Partnerschaft, Entwicklung und Mission dem Thema „Postkoloniale Partnerschaft“ widmete.
Foto: Christian Pfliegel
Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist das eine, und für Menschen, die sich mit der Arbeit der Mission identifizieren, schmerzhaft genug. Noch mehr an die Substanz der eigenen Selbstwahrnehmung geht die aktuelle Diskussion um Rassismus und Diskriminierung im Hier und Jetzt. „Ich steige manchmal aus. Ich komme da einfach nicht mehr mit, das wird mir zu komplex“, machte eine Teilnehmerin der Jahrestagung ihrem inneren Dilemma Luft. „Menschen, die anders aussehen, möchte ich fragen, wo sie herkommen. Die interessieren mich. Aber ich habe dauernd Angst, etwas falsch zu machen. Doch dann reden wir nicht mehr miteinander, und die Gräben werden wieder tiefer.“ Vorausgegangen war dieser pointierten Problemanalyse die Lesung der Theologin und Religionspädagogin Sarah Vecera aus ihrem Buch „Wie ist Jesus weiß geworden?“ zum Auftakt der Jahrestagung. Die Lesung und die anschließende Diskussion setzten die grundsätzliche Ambivalenz der gegenwärtigen Rassismus-Debatte punktgenau in Szene.
Auf der einen Seite arbeitete Vecera, stellvertretende Leitung der Abteilung Deutschland und Bildungsreferentin mit dem Schwerpunkt „Rassismus und Kirche“ bei der Vereinigten Evangelischen Mission (VEM), klar heraus, dass in Deutschland „Kirche nicht von allen Menschen als sicherer Ort“ gesehen wird. Wer nicht zur weißen heterosexuellen Mittelschicht gehöre, also beispielsweise in Sachen Bildung, sexueller Orientierung, Herkunft oder Hautfarbe von der Norm abweiche, müsse sich seinen Platz in der Kirche hart erkämpfen. In der Partnerschaftsarbeit sieht die Theologin aus Kolonialzeiten tradierte, im Verborgenen manifestierte rassistische Muster. Solche würden unter anderem in Diskussionen um kulturelle Unterschiede mitschwingen, in Sätzen wie „die haben das im Blut“. Eine weitere Projektionsfläche für rassistische Stereotype sei die ungleiche ökonomische Situation in Nord-Süd-Partnerschaften, in der auch koloniale und paternalistische Grundhaltungen beziehungsweise Minderwertigkeitsgefühle mitschwingen. Veceras ernüchterndes Fazit: „Es gibt keinen rassismusfreien Raum. Wir sind alle von Rassismus betroffen, die einen bevorteilt, die anderen benachteiligt.“
Also lieber nicht mehr reden mit People of Colour oder mit queeren Menschen beziehungsweise potenziell heikle Fragen oder Themen aus dem Diskurs verbannen – wie es die Teilnehmerin als mögliche und gleichzeitig ja auch unmögliche, weil destruktive Konsequenz pointiert in den Raum gestellt hatte?
Es gibt noch die andere Seite: Die Antwort von Sarah Vecera eröffnete eine Perspektive für eine Praxis des Dialogs: „Ich bin gegen Sprechverbote.“ Es gebe kein Verbot, „die Frage“ – also beispielsweise die nach der Herkunft – zu stellen. Das sei „kontextabhängig“? Die entscheidende Frage lautet aus Sicht der Theologin: „Wie können wir heilsam miteinander in den Dialog kommen?“ Und sie formulierte eine Aufgabe: „Wir müssen lernen, nur die Tatsachen anzuschauen, ohne einander zu verurteilen.“
Mit der Frage, wie der Weg zu einer dekolonisierten Partnerschaft aussehen könnte befassten sich die Referentinnen Claudia Buess, Studienleiterin bei Mission 21, und Regene Lamb, Pastorin der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB) und derzeit als Teaching Preaching-Gast von Mission EineWelt überall in Bayern unterwegs.
Regene Lamb arbeitete heraus, wie tiefgehend kolonialistische Einstellungen im Denken der Menschen verankert sind. Die Menschen seien „alle in eine Kolonialität des Wissens eingetaucht. Diese bringe sie dazu, „zu akzeptieren, dass es keine anderen Formen des Denkens, der politischen Theorie, der Wirtschaftspolitik, der Ontologie, der Wissenschaft“ gebe, als die der Kolonialiat*innen, formulierte sie in Anlehnung an den argentinischen Theoretiker Walter D. Mignolo und ergänzte die von Frantz Fanon vertretene These, wonach die Kolonisierten irgendwann selbst damit anfangen, ihre eigenen Wertesysteme und ihre Kultur als unterlegen oder minderwertig zu betrachten.
Ein klares Rezept für einen Weg aus dieser Situation sieht Lamb nicht. Im Gegenteil wäre das aus ihrer Sicht schon wieder koloniales Denken. „Wir müssen Unsicherheit aushalten“, propagierte die brasilianische Theologin ein Vorgehen jenseits vermeintlicher Gewissheiten.
Eine Erfolgsformel für dekolonisierte Partnerschaft hatte auch Claudia Buess nicht im Gepäck, die in ihrem Vortrag die Geschichte der Basler Mission mit ihrem ambivalenten Verhältnis zu den Kolonialherren aufzeigte. Aber neben der „selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte von Mission und Kolonialismus“ als „erstem Schritt“ erteilte auch sie der Dominanz der „eurozentristischen Perspektive“ eine Absage: „Wir müssen uns unserer eigenen Privilegien bewusst werden und sind herausgefordert, unsere ökonomischen Strukturen hinsichtlich ihrer Auswirkungen zu hinterfragen.“ Wichtig sei es, auf „Stimmen aus den Partnerkirchen und -ländern zu hören“.
Bei aller Unsicherheit und der Notwendigkeit permanenter Reflexion: Immerhin, so Lamb, „können wir als christliche Gemeinschaft diesen Weg gemeinsam gehen.“ Oder, wie Sarah Vecera es formulierte: „Eine andere Kirche ist nicht unmöglich, sie ist auf dem Weg.“