Beim Studientag „Was wir von Lateinamerika lernen können – Pfingstkirchen als ökumenische Herausforderung“ am 9. Dezember 2017 in Neuendettelsau der Studientag „Was wir von Lateinamerika lernen können – Pfingstkirchen als ökumenische Herausforderung“ ging es nicht nur um die Pfingstkirchen in Lateinamerika. Die über 80 TeilnehmerInnen beschäftigten sich auch kritisch mit der Praxis der eigenen lutherischen Kirche in Bayern. „Am meisten habe ich heute über die wunden Punkte der Bayrischen Gemeinden gelernt“, so eine Teilnehmerin am Ende der Tagung. „In einigen Dingen haben uns Frei- und Pfingstkirchen etwas voraus.“
Von den Pfingstkirchen „anregen lassen“ könne sich die bayerische Landeskirche unter anderem in Sachen leidenschaftliches Christentum, gabenorientierte Aufgabenverteilung und beim Vertrauen auf das Eingreifen Gottes, so das Ergebnis eine Workshops mit Pfarrer Michael Wolf vom Amt für Gemeindedienst. „Ich würde mir wünschen, dass auch in unseren Gottesdiensten wieder mehr für Kranke gebetet wird“, sagte ein Teilnehmer des Workshops. Auch dass die landeskirchlichen Angebote nur ganz bestimmte Milieus – die bürgerliche Mitte, sozialökologisch Orientierte und konservative Eliten – ansprächen, wurde vor dem Hintergrund der Ausstrahlkraft vieler Pfingstkirchen kritisiert. Auch in dieser Hinsicht seien mehr Vielfalt und Innovation gefragt.
Und doch wurde in allen Punkten auch klar, dass man von zwei Seiten vom Pferd fallen kann und viele Aspekte der pfingstkirchlichen Praxis kritisch gesehen werden müssen – gerade was die neuen Pfingstkirchen angeht. Die Mitglieder einer solchen Neopfingstkirche erhalten durch ihren Glauben zwar ein starkes Selbstwertgefühlt, doch auf der anderen Seite werden sie auch persönlich dafür verantwortlich gemacht, wenn ihre Gebete nicht erfüllt werden. Dirk Spornhauer vom Bensheimer Institut formulierte es so: „ Das Grundprinzip ‚du hast Macht‘ steht dem Prinzip ‚du hast zu wenig geglaubt‘ entgegen. Ein mögliches Scheitern im Leben und das Leid dieser Welt werden in solch einer Theologie der Herrlichkeit beiseitegeschoben und haben keinen Platz.“
Julio Adam, Professor für praktische Theologie an der Escola Superior de Teologia – EST in Sao Leopoldo, Brasilien, referierte über die Entwicklung der Pfingstkirchen in Lateinamerika. Er kritisierte vor allem die krasse Kommerzialisierung der Megachurches und die starke Fixierung auf eine Führungsfigur. Im Unterschied zu anderen Pfingstkirchen sei in der Theologie der Neopfingstkirchen alles erlaubt, um eigenen Wohlstand zu erlangen – nicht selten beginne der Weg zum eigenen Wohlstand jedoch mit großzügigen Spendenforderungen an die Gemeinde. Und auch in der Politik nähmen die Neopfingstkirchen mit ihren sehr konservativen Positionen immer mehr Einfluss. Die Pfingstbewegung spiele „eine wichtige Rolle bei der Erhaltung des Kapitalismus“, erklärte Adam in Anlehnung an Rolin, indem sie ArbeiterInnen „mit striktem Moralvorstellungen“ ausstatte: durch „die Vermittlung eines patriarchalischen Familienmodells“ sowie durch Propagierung von „Obrigkeitshörigkeit“,“ Pünktlichkeit“ und „der Ablehnung politischer Organisationen wie Gewerkschaften“. Diese Entwicklung veranlasst Adam zu einem skeptischen Blick auf die Zukunft Brasiliens: „Was werden die Konsequenzen für die Demokratie, die Menschenrechte, die Vielfalt und die kulturelle wie religiöse Toleranz sein?“
Auch nach dem Studientag mit seinen intensiven Diskussionen bleiben noch viele Fragen über Pfingstkirchen, aber auch zur Zukunft der bayerischen Kirche offen. Der These von Pastor Andi Neumann von der Arche Gemeinde in Augsburg, wonach die Landeskirche sich langsam selbst abschaffe, wollte die überwiegende Mehrheit der TeilnehmerInnen jedoch nicht zustimmen.
Die Vorträge des Studientags sollen in einem Sammelband des Erlanger Verlags veröffentlicht werden.
Veit Röger