Ein Austausch afrikanischer und europäischer Ansichten und Einsichten
„Afrikanerinnen und Afrikaner, die nach Deutschland kommen, sollen als Gäste oder Experten wahrgenommen werden und nicht als Bedrohung“ – das fordert Dr. Fidon Mwombeki. Der tansanische Pfarrer ist Referent der so genannten Speakerstour, die im Vorfeld des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags durch Deutschland gezogen ist. Am 13. Juni gastierte sie in München. Dort hatten Mission EineWelt und die Evangelischen Akademie Tutzing zu einem gemeinsamen Studientag unter der Überschrift „Afrika und Europa im Dialog: Kirche, Politik und Gesellschaft“ geladen.
Höhepunkt der Speakerstour war für die Referentinnen und Referenten sicherlich der aktuell stattfindende Kirchentag in Dortmund. Doch auch im Vorfeld zu diesem Großevent trat die Gruppe führender afrikanischer Experten mit Menschen in ganz Deutschland in direkten Dialog. Ein Termin ihrer Reise: Der 13. Juni in Schloss Nymphenburg. Vor rund 90 Interessierten berichteten die „Speaker“ über ihre Sichtweisen zur Zukunft Afrikas und zur künftigen Zusammenarbeit der Kontinente. Die afrikanischen Perspektiven wurden dabei bewusst den häufig dominierenden europäischen Vorstellungen gegenübergestellt.
„In Deutschland habe ich erlebt, dass ich nicht immer als Kunde wahrgenommen werde, wenn ich mir als Afrikaner beispielsweise einen Anzug kaufe. Man sieht mich eher als einen potentiellen Dieb“, so Mwombeki. Die Zukunftsvision des 59–jährigen promovierten Theologen aus Tansania ist klar. Sein Wunsch: Afrikanerinnen und Afrikaner, die nach Deutschland kommen, sollen genauso wahrgenommen werden wie Europäer in Afrika. Mwombeki hat viele Jahre in Deutschland und Europa gearbeitet und ist seit 2018 der Generalsekretär der Gesamtafrikanischen Kirchenkonferenz in Nairobi.
Von ihren Kindheitserfahrungen berichtete Kazeneza Huguette, die heute am Hekima Institut für Friedensforschung und Internationale Beziehungen in Nairobi arbeitet. Die junge Frau aus Burundi schilderte eindringlich, wie sie als Kind unter den ethnischen Konflikten in Burundi und Ruanda litt. Sie ist sich sicher, dass sich Afrika nur entwickeln kann, wenn es Frieden gibt. „Dazu müssen die Gruppierungen der Zivilgesellschaft gestärkt werden“, so Kazeneza.
Nicht nur persönliche Erfahrungsberichte waren Teil der Veranstaltung am 13. Juni. Einen weiteren Themenbereich bildete die Bearbeitung politischer Papiere. Mwombeki führte dazu in die „Agenda 2063“, einer Zukunftsversion der afrikanischen Union, ein. Mit ihr verbinden sich konkrete Ideen für ein starkes, friedliches und vereinigtes Afrika. Der Pfarrer stellte die Agenda in den Kontext der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, kurz: SDGs) und gab seine Einschätzung zu den Verlautbarungen wieder. „In beiden Dokumenten fehlt eine Auseinandersetzung mit der Herausforderung des Bevölkerungswachstums in Afrika. Ohne funktionierende Familienplanung wird eine nachhaltige Entwicklung in Afrika kaum funktionieren“, unterstrich er. Den durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) initiierten „Marshallplan mit Afrika“ zur Förderung der Entwicklung des afrikanischen Kontinents erläuterte Reinhard Junker. Der Referent aus dem Referat für Afrikapolitik des BMZ stellte klar, dass Deutschland den afrikanischen Ländern damit ein Angebot mache. „Wir wollen den wirtschaftlichen Aufbruch unterstützen“, betonte er.
Zum Thema Nachhaltigkeit und Schöpfung referierte auch der leitende Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania, Dr. Fredrick Shoo. „Als ich vor Jahren die Christen in meiner Diözese immer wieder aufforderte, Bäume rund um den Kilimandscharo zu pflanzen, stieß ich oft auf Unverständnis“, so Shoo. Nicht Wenige hätten ihn gefragt, warum er sich als Bischof um Bäume statt um Menschen kümmere. Doch der Geistliche sieht die Aufgabe der Menschen darin, das Werk Gottes zu bewahren. „Diese Forderung gilt allen Menschen auf der ganzen Welt“, unterstrich er seine Ausführungen. Probleme entstünden, weil Lebensstil und Energieverbrauch weltweit sehr unterschiedlich sind. Shoo wies darauf hin, dass ein Mensch in Deutschland statistisch gesehen 18 Mal mehr Kohlendioxid ausstößt, als eine Person in Tansania. „Die Klimakrise wird auch in Bayern verursacht.“
Eine weitere Herausforderung thematisierte Paul Muchena, der nationale Koordinator der Katholischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden in Simbabwe. „Migration ist ein Problem. Millionen von Menschen haben aus politischen und wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen und leben in der Fremde“, so der Experte. „Diejenigen, die abwandern, beeinflussen aber dennoch das System zu Hause.“ Als Beispiel nannte er die Geldflüsse der Ausgewanderten an ihre zurückgebliebenen Familien in Simbabwe. Diese seien in der Summe höher als die gesamte offizielle internationale Entwicklungshilfe.
Doch wie wird man den Herausforderungen gerecht? Die Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler forderte eine verstärkte „gleichrangige Zusammenarbeit“ statt der derzeitigen „postkolionialen Schieflage mit ihrer Subventionsmentalität“. Dr. Gabriele Hoerschelmann, die Direktorin von Mission Eine Welt, ergänzte ihre Aussage. „Um Visionen zu entwickeln, brauchen wir neue positive Geschichten aus Afrika, neue Narrative.“ Nur mit solchen Geschichten könnten gemeinsame Visionen entwickelt werden. Für sie steht fest: Die Speakerstour mit ihrem Höhepunkt am Dortmunder Kirchentag ist ein Schritt in die richtige Richtung. „Eine Chance, den Expertinnen und Experten aus Afrika, die im Rahmen des Kirchentags nach Deutschland kommen, eine hörbare Stimme zu geben.“ so auch Reinhard Hansen, Leiter des Afrika-Referats bei Mission EineWelt.
Autor: Claus Heim, Fachreferent Tansania