Wann immer ich im letzten Monat an diesem Report über den Corona-Virus geschrieben habe, so schien der Inhalt am nächsten Tag wieder überholt. Inzwischen sehen sich Menschen auch außerhalb Chinas und Asiens mit den Auswirkungen des neuartigen Virus konfrontiert. In vielen Ländern wiederholt sich eine Situation – ähnlich wie wir sie schon vor eineinhalb Monaten in China, Hongkong und anderen Regionen Asiens hatten.
Maßnahmen zur Eindämmung der Krise
In den betroffenen Ländern Asiens haben sich zwei Methoden als erfolgreich erwiesen, den Ausbruch und die rasante Verbreitung des Virus zu stoppen.
Isolationstrategie in China
In China, wo der Virus vermutlich bereits Ende November auf einem Markt in Wuhan ausbrach, ist die Bevölkerung seit Ende Januar mit einschneidenden Maßnahmen im Alltag konfrontiert. Nachdem einzelne Infektionscluster nicht mehr nachvollzogen werden konnten, hat sich das gesamte Land in kürzester Zeit in extremer Weise isoliert. Die Mobilität wurde weitestgehend eingestellt, Restaurants und Geschäfte wurden geschlossen, Veranstaltungen abgesagt, Sehenswürdigkeiten geschlossen und soziale Kontakte der Menschen auf ein Minimum reduziert. Hochrisikogebiete wie die gesamte Provinz Hubei mit mehr als 50 Millionen Einwohner/innen wurden konsequent abgeriegelt. Außerdem wurden massiv medizinisches Personal und Hilfe in die besonders betroffenen Gebiete geschickt.
In China waren bereits Anfang Februar 2020 mehr als eine Milliarde Menschen von gravierenden Einschnitten im alltäglichen Leben betroffen. Selbst in kleinen Provinzstädten gab es strikte Auflagen, beispielsweise, dass nur eine Person pro Haushalt alle zwei Tage zum Lebensmitteleinkauf gehen darf. Fiebermessungen an Zugängen von Wohnvierteln, vor Supermärkten oder ganz allgemein auf der Straße wurden alltägliche Routine. Damit einher geht eine Öffentlichkeitskampagne, die den Menschen Verhaltensregeln vermittelt und über die getroffenen Maßnahmen und deren Notwendigkeit informiert.
Daneben gibt es eine inzwischen durchgängige und konsequente Isolierung und Behandlung von infizierten Personen. So konnten die Infektionsketten erfolgreich unterbrochen und die Anzahl der Neuinfektionen schnell gesenkt werden. Die meisten Neuinfektionen, die China verzeichnet, kommen inzwischen aus dem Ausland. In vielen Städten sind erste Anzeichen von Normalität zu erkennen. Die Zuversicht wächst, dass man die Ausbreitung des Virus im Griff hat. Geschäfte und Restaurants öffnen wieder, und auch die Produktion läuft wieder an. Es ist bemerkenswert, dass China mit fast einem Fünftel der Weltbevölkerung dies nach dem explosiven anfänglichen Ausbruch geschafft hat. Der Anteil der Infizierten an der Gesamtbevölkerung ist niedriger als in vielen europäischen Ländern. Das war nur durch extreme Kontrollmaßnahmen, wie auch durch Selbstdisziplin und monatelangem Verzicht seitens hunderter Millionen von Bürger/innen möglich.
Identifizierung der Infektionswege und Massentests in Südkorea
Im demokratischen Südkorea hingegen wurden konsequent die Infektionswege identifiziert und durch Massentests und frühzeitige Isolierung und Behandlung der Menschen, die ebenfalls anfangs rasante Ausbreitung der Krankheit inzwischen unter Kontrolle gebracht. Das wurde sicher auch erleichtert, dass ein Großteil der Infektionen auf eine Person zurückzuführen war. Infektionscluster müssen identifiziert, getestet und isoliert werden. Wenn das nicht möglich ist, dann müssen wie in China mit einschneidenden Isolationsmethoden sämtliche Infektionsketten unterbrochen werden.
Strategie-Mix in anderen asiatischen Ländern
In Hongkong, Macau, Singapur oder Taiwan hat man es geschafft, mit einer Mischung aus Isolierung und Tests, mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung, die Verbreitung des Virus gering zu halten und unter Kontrolle zu bringen. Durch die weltweite Verbreitung kehren viele Menschen nun in ihre Heimatländer zurück. Das führt dazu, dass fast alle Neuinfektionen „importierte“ Fälle von außen sind. Dadurch wächst in Asien die Angst vor einer zweiten Infektionswelle. Folgerichtig gilt für Einreisende eine zweiwöchige Quarantäne oder die Einreise wurde bereits ganz untersagt.
Die Arbeit der Amity Foundation
Die Amity Foundation hat am 24. Januar 2020 begonnen, Hilfsmaterialien in besonders betroffene Regionen in Hubei zu schicken. Bis heute hat Amity mehr als 74 Millionen RMB an Spenden erhalten und diese dafür verwendet, Hilfsgüter in mehr als 14 betroffene Städte und Regionen zu schicken. Die Spenden und Hilfsgüter wurden durch Online-Fundraising und vor allem in Partnerschaft mit einheimischen Unternehmen gesammelt. Zudem hat Amity starke Unterstützung von chinesischen Kirchen (CCC/TSPM) und auch von ausländischen Partner/innen erhalten. Während am Anfang der Krise noch versucht wurde, medizinische Waren aus dem Ausland zu importieren, bekommt Amity inzwischen mehr und mehr Anfragen aus dem Ausland mit der Bitte um Unterstützung.
Internationale Treffen, Trainings, Konferenzen und Austauschprogramme müssen derzeit leider abgesagt oder verschoben werden. Für Partnerschaftsbesuche und vor Allem für den Jugendaustausch ist das eine sehr bedauernswerte Entwicklung. Konferenzen finden zunehmend online und digital statt, was sie inklusiver macht und was meiner Meinung nach angesichts der globalen Erwärmung (ökologischer Fußabdruck) eine begrüßenswerte Entwicklung ist.
Die Situation in Hongkong
In vielen Regionen Asiens und vor allem auch in Hongkong ist man durch die SARS-Krise in 2003, bei der fast 800 Menschen starben, sehr sensibilisiert. Mit etwa 357 Infektionen mit Covid19 (was etwa 0,005 Prozent der Bevölkerung ausmacht) sind die Fallzahlen in Hongkong sehr niedrig. Dennoch sind die schmerzlichen Erfahrungen mit der SARS Krise im kollektiven Gedächtnis der Menschen. Die stark frequentierten Grenzübergänge nach China wurden nach großem öffentlichem Druck von der Regierung schnell geschlossen und bleiben dies bis heute. Auch die Schulen sind seit Anfang der Krise zu. Die angekündigte Wiederaufnahme des Schulbetriebs Mitte April wurde bis auf weiteres verschoben. Am Anfang der Krise haben fast alle Angestellten für einige Wochen von zu Hause aus gearbeitet. Nun arbeiten die meisten wieder in den Büros. Aber noch immer werden Veranstaltungen weitestgehend abgesagt und soziale Kontakte deutlich reduziert. Die Menschen gehen seit zwei Monaten fast ausschließlich mit Maske aus dem Haus.
Die Nutzung von Masken im Alltag ist umstritten. Bei Menschenansammlungen auf engem Raum haben sie jedoch ihre Berechtigung. Zum anderen verhindern sie die Gefahr einer Verbreitung des Virus durch unerkannt erkrankte Menschen. Masken erfüllen zudem auch eine soziale Funktion. Sie zeigen, dass Ihr/e Träger/in die Gefahr des Virus ernst nimmt. In der Wohnenklave Discovery Bay, die besonders bei Ausländer/innen beliebt ist, trägt kaum jemand eine Maske. Dies führt bisweilen zu Spannungen in der Bevölkerung. Während es Berichte gibt, dass asiatisch aussehende Menschen in anderen Ländern für das Tragen einer Maske kritisiert werden, wird hier Kritik an Menschen geübt, die keine Maske tragen.
Nach anfänglichem Maskenmangel gibt es inzwischen wieder überall Masken zu kaufen. Diese sind zwar noch immer sechs Mal teurer als vor der Krise, aber immerhin verfügbar und nicht mehr so teuer wie zu Beginn der Krise. In vielen Gebäuden wie auch an öffentlichen Orten liegen Hand Sanitzer aus. Aufzugschalter und Bankautomaten werden abgeklebt und mehrmals täglich gereinigt. Bei einigen Restaurants, Postämtern oder Geschäften wird am Eingang die Temperatur an der Stirn gemessen. Die Selbstquarantäne von Menschen, die von außerhalb nach Hongkong kommen, wird von Mitarbeitenden der Einwanderungsbehörde durch regelmäßige Videoanrufe überwacht. In der Öffentlichkeit wie in den Zeitungen sind große Anzeigen geschaltet, die über Hygiene- und Isolationsmaßnahmen informieren. Mit Durchsagen in den öffentlichen Verkehrsmitteln wird an die Menschen appelliert, Masken zu tragen und andere Hygienestandards zu befolgen. Wichtige Ankündigungen wie Quarantäneanordnungen werden von der Regierung auch über SMS an alle Bürger verschickt. Zudem wird die Öffentlichkeit penibel und detailliert über die Hintergründe eines jeden neuen Falles informiert. Es gab und gibt Berichte über Verfehlungen und Fehlverhalten. Den einen gehen die Maßnahmen nicht weit genug, den anderen ist es zu viel. Aber im Großen und Ganzen werden die Maßnahmen als notwendig erachtet und akzeptiert.
Das Jahr 2019 war für Hongkong ein schweres Krisenjahr. Zuerst die Proteste und nun das Virus haben Bevölkerung und Wirtschaft schwer getroffen. Die Stadt lebt vor allem von Tourismus und Einzelhandel. Die Zahl der Besucher/Innen und Tourist/innen ist drastisch eingebrochen. Die Corona-Pandemie sorgte für einen Rückgang um bis zu 96 Prozent. In der Bevölkerung gibt es die Befürchtung, dass die Arbeitslosenquote weiter ansteigt.
Und dennoch geht das Leben weiter. Die Menschen gehen viel nach draußen an die frische Luft. Wandern oder Fahrradfahren hat Hochkonjunktur. Auch wenn große Veranstaltungen weiterhin abgesagt und soziale Kontakte eingeschränkt werden, isoliert man sich nicht vollständig. Einkaufszentren sind weiterhin gut besucht. Es gibt inzwischen auch wieder kleinere Proteste der Bevölkerung gegen die Regierung, nachdem die Protestbewegung seit Monaten in der Öffentlichkeit nicht mehr sichtbar war. Restaurants bleiben seit jeher geöffnet, und es machen auch wieder begrenzt Museen und anderen Einrichtungen auf, mit den entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen. Das obligatorische Tragen einer Maske wie auch das Desinfizieren der Hände ist seit fast zwei Monaten zur Regel geworden.
Die deutschsprachige evangelische Gemeinde in Hongkong (EGDSHK)
Die andauernde Schulschließung trifft auch die evangelische deutschsprachige Gemeinde. Seit zwei Monaten können wir die deutschsprachige Schule nicht wie gewöhnlich für Gottesdienste nutzen. Daher müssen wir uns jeden Sonntag neue Räumlichkeiten suchen. Die Gemeinde trifft sich im kleinen Kreis, auch mal am Strand in Discovery Bay (DB). Wir halten Gottesdienste privat ab und versuchen uns weiterhin zu treffen, und ebenfalls auch unsere katholischen Geschwister einzuladen. Die deutschsprachige katholische Gemeinde wird aus Peking mitbetreut. Aufgrund der Einreisesperre kann der katholische Pfarrer derzeit nicht mehr nach Hongkong kommen. Schön ist ebenfalls, dass wir von einem deutschen Unternehmer eine größere Anzahl Masken gespendet bekommen haben, die wir an Flüchtlinge und Obdachlose in Hongkong verteilen konnten. So können wir als Gemeinde auch die Menschen in Hongkong unterstützen, die dem Virus besonders schutzlos ausgeliefert sind.
Was bringt die Zukunft?
Die Unsicherheiten, die mit dem Virus einhergehen, sowie die weltweite Ausbreitung des Virus stellen die Weltgemeinschaft vor eine große Herausforderung. Das Primat des wirtschaftlichen Wachstums, profitgesteuerte Privatisierungen und neoliberale Reformen im Gesundheitswesen über die letzten Jahrzehnte verschärfen die Krise. Auch der weltweit zunehmende Populismus und nationalistische Tendenzen stehen einer hinreichenden Eindämmung der Pandemie entgegen. Meine Befürchtung ist, dass die Krise die seit Jahren zunehmenden nationalen und internationalen Polarisierungstendenzen in Politik und Gesellschaft verstärken wird und sich Vorurteile und Rassismus verfestigen.
Andererseits ist die Zahl der Infizierten weltweit noch sehr niedrig im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Zudem ist zu hoffen, dass der kommende Sommer die Verbreitung des Virus zusätzlich behindern wird. Die Beispiele in Asien zeigen, dass die Pandemie durch die jetzt getroffenen Maßnahmen eingedämmt werden kann und dass das alltägliche Leben weitergehen wird. Dafür müssen die reichen Länder aber vor allem auch an die ärmeren Menschen in n den Ländern des globalen Südens denken, und diesen notfalls die entsprechende Unterstützung zukommen lassen. Denn in dieser globalen und existentiellen Pandemie zeigt sich auch, dass diese nur durch Solidarität, Mitgefühl und Rücksichtnahme gelöst werden kann.
Es ist zu hoffen, dass wir letztendlich, wenn die Krise vorbei ist, daraus lernen und uns in Zukunft mit gleichem Engagement auch auf andere globale Herausforderungen wie die Klimaerwärmung oder die weltweit grassierende Ungleichheit konzentrieren werden.
Martin Lachmann, Hongkong, 23. März 2020
(Martin Lachmann wurde von Mission EineWelt nach Hongkong ausgesendet)
Informationen zur Arbeit der Amity Foundation:
https://www.amityfoundation.org/eng/
https://www.amityfoundation.org/eng/social-media
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